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Totenklang

Totenklang

Titel: Totenklang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sinje Beck
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anrufen soll – mache ich mich auf den Weg nach Siegen. Von den zehn Euro Spritgeld erstehe ich ein Flanellhemd für 3,99 und habe so noch etwas für den Tank über. Mein zerrissenes Hemd wird eine zweite Karriere als Putzlumpen starten und landet im Kofferraum.

26
    Vor extremer Gedankenschwirrerei wäre ich beinahe dem vor mir fahrenden Kleinwagen hinten draufgebrettert, der bei orange vor einer Ampel gebremst hat. Ich stehe mit erhöhtem Blutdruck an einer Kreuzung in Neunkirchen auf der Spur nach Siegen. Folge der Spur und du wirst siegen, philosophiert es in mir. Was für eine Phase! Langes Rot vor der Ampel, knapp und bunt die Begegnungen der letzten Tage in meinem ansonsten in ruhigen Bahnen verlaufenden Leben. Begonnen hatte das Durcheinander mit dem Alten, dessen Gebiss mir unterm Anschnallgurt in die Leiste zwickt. Dann der blöde Mümmel, alter Bekannter mit neuen Feindseligkeiten, Rudis Leichenwagen, der mich zu Sternenstaub brachte. Giacomo und Harry, im Kontrast dazu treffe ich gleich auf einen Engel. Nicht zu vergessen, der merkwürdige Hanf. Der würde ganz gut an die Theke ins ›Hank‹ passen. Hinter mir hupt ein Jüngling mit Baseballkappe. Ich habe diesmal nicht gepennt, der Wagen vor mir ist kaum angefahren, da hupt das Äffchen in seinem alten, tiefer gelegten BMW schon.
     
    Bierausschenker und Beerdigungshelfer, da sage noch einer, ich sei nicht flexibel. Von der Theke in den Sarg. Manche nehmen den direkten Weg, fällt mir das Ende meines Exschwagers ein. Oft auf Montage, wenn er nicht im Ausland arbeitete und soff, klebte er bei Rosie vorm Tresen und soff. Drei Promille und einen Hirnschlag. Noch bevor sein Körper vom Hocker herab auf die Fliesen fiel, war er tot. Er war so alt wie ich. Seine Kumpels tranken einen letzten auf seinen Deckel und das war es dann.
    Das war es dann auch mit meinen wirren und trüben Gedanken. Ich bin am Ziel und parke in einer schmalen Straße, eine Sackgasse ohne Wendemöglichkeit, vor dem Institut, dessen Fenster elegant und auch ein wenig verspielt dekoriert sind. Ein Sterntaler steht da im kurzen Hemd und fängt die Himmelskörper auf. Bunte Urnen stehen auf blauem Satin, weiße Blüten liegen verstreut wie vom Wind dorthin geweht. Unser Schauwerbegestalter-Lehrer aus der Werbekaufmanns-Umschulung hätte seine wahre Freude daran gehabt. Die Blüten kommen mir bekannt vor. Es sind die Köpfe von Nelken, genauso eine Blume hat an Paul Otto Jungs Grab gelegen.
     
    Als ich durch die Tür trete, erklingt ein helles Klimpern, ausgehend von einem Windspiel, das unter der Decke angebracht ist. Das Bestattungsinstitut ist schlicht, aber elegant eingerichtet, dabei wirkt es nicht unterkühlt. Das Interieur ist durchaus nobel, meint auch der Advokat, der sich standhaft weigert, ein schwedisches Einrichtungshaus zu betreten. Hier stehen die Möbel, die Marie auch immer gerne gehabt hätte, doch mangels Masse musste sie sich dann für die Billigfurnierkopien entscheiden, statt es einfach zu lassen. Niemand braucht beleuchtete Glasvitrinen, der keine Kronjuwelen zu präsentieren hat. Alles für die fetten Putten und die standen nicht nur zur Weihnachtszeit in dem Schrank.
    Durch eine angelehnte Milchglastür kommt beinahe geräuschlos Felicitas Engel herein. Sie wirkt etwas traurig. Ihr professionelles, freundliches Lächeln, nachdem sie mich erkannt hat, setzt ein wenig verzögert ein. Vielleicht ist es auch nur das künstliche Deckenlicht, das ihr Schatten unter die Augen wirft.
    »Einen wunderschönen guten Tag«, greife ich tief in die Freundlichkeitskiste, Schleimerkiste, korrigiert Kalle und distanziert sich von mir.
    »Ach, Sie sind’s!«, entgegnet sie nur. Gibt es eine Begrüßung, die noch deutlicher Enttäuschung verrät? Meine gute Grundstimmung kippt schlagartig ins Negative. Wir gehen zu einem Schreibtisch. Sie setzt sich dahinter, ich pflanze mich davor. Wortlos reiche ich ihr meine Sozialversicherungsnummer und die Lohnsteuerkarte. Sie greift sich ein Papier, trägt die Nummer ein, behält die Lohnsteuerkarte, schiebt mir einen Aushilfevertrag zu und gibt mir ein Teil aus einem Maniküre-Set, das wie ein Stift geformt ist.
    »Und jetzt?«, frage ich provokant, wobei ich das Ding von einer Hand in die andere lege und so tue, als wolle ich tatsächlich damit eine Unterschrift versuchen.
    »Oh, tut mir leid. Ist nicht mein Tag heute«, antwortet sie, ohne mich anzusehen. Statt mir einen Stift zu geben, nimmt sie den Vertrag wieder an sich und

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