Totenklang
unterschreibt selbst mit einem Füller. Gedankenverloren.
»Sie haben gerade einen Kühlschrank gekauft.«
Jetzt bemerkt sie den Irrtum, zerreißt das Exemplar und reicht mir einen neuen, den Füller legt sie obenauf.
»Probleme?«, frage ich beiläufig, sie bewusst nicht ansehend.
»Wahrscheinlich nicht mehr als Sie«, gibt sie ausweichend zur Antwort, wobei sie meine verletzte Schulter bemerkt haben muss, die eine steife Schonhaltung eingenommen hat.
Das sei nichts weiter und schränke meine Arbeitsfähigkeit nicht ein, wiegle ich ab. Nachdem sie mir den Durchschlag des Vertrages gereicht hat, bricht ihre Sorge doch aus ihr heraus. Sie erwarte einen Freund, der schon seit Tagen bei ihr sein wollte, doch er wäre wie vom Erdboden verschluckt. Nicht aufzufinden. Telefon habe er nicht. Er sei ein Vagabund. Ich muss an den Alten denken. Den wird sie kaum meinen. Ihm sei bestimmt etwas zugestoßen. Sie würde noch heute zur Polizei gehen, obwohl ihr Freund das nicht gutheißen würde. Ein Schweigen tritt ein.
Du musst das abklären, meint Kalle. Erinnere dich, der Alte hatte eine farbige Fotografie dabei, worauf eine Familie mit Baby abgebildet war. Dann würde sie ihren Großvater erwarten, ihn aber doch nicht ihren Freund nennen, außerdem wäre das ein komischer Zufall. Solls geben, die Welt ist ein Dorf, sagt der Junge altklug.
Ich erzähle, dass ich neulich einen Landstreicher kennen gelernt habe, der früher ein Artist und Clown gewesen sei, habe er behauptet.
»Richy?«, ruft die Engel aus und ich nicke. Natürlich will sie jetzt alles wissen. Zunächst erwähne ich, dass mein Richy sehr alt gewesen sei. Oh, shit, ich Dämel …
»Meiner auch«, sagt sie zunächst in aufgeregtem Tonfall und dann gedämpfter, »was heißt denn hier gewesen?«
Na toll, jetzt knall ihr noch das Gebiss hin und unterstreiche dein Geschick, motzt Kalle. Der Zwerg geht mir langsam auf die Nerven.
Ich überlege ganz genau, was und wie ich es ihr sage. Ich rede erst mal ein wenig drum herum. Beschreibe den Alleinunterhalter und die Episode mit dem Fisch. Das sähe ihm ähnlich, wirft sie ein. Das Telefon läutet, sie geht nicht dran, drückt lediglich eine Taste, die den Anrufbeantworter startet. Ich möchte wissen, in welchem Kontakt sie zu ihm steht. Er sei so eine Art Leih-Opa. Früher wäre sie oft von zu Hause weggelaufen, meistens, wenn der Zirkus da war. Der Clown, er habe sie sofort an Catweazle erinnert, ich nicke, habe sie jedes Mal überredet, doch wieder zu ihren Eltern zurückzugehen. Daraus sei eine Freundschaft entstanden. Auch als Richy nicht mehr vom Zirkus beschäftigt wurde, sei er immer wieder nach Siegen gekommen. Später habe er ihr immer Postkarten geschickt, die letzte vor drei Wochen. Er sei auf dem Weg, habe er geschrieben.
»Sein letzter Weg führte ihn an den Landeskroner Weiher«, beginne ich über sein Ende zu berichten, da Felicitas sich ein wenig gefasst zu haben scheint.
»Erhängt! Nie und nimmer. Richy liebte das Leben, die Natur, er hatte einen philosophischen Zugang zur Welt, zum Sein. Er hat sich nicht erhängt!«, ereifert sie sich, dabei ist sie von ihrem Stuhl aufgesprungen und rennt wie ein Tiger im zu engen Käfig hin und her.
»Es sieht so aus, als habe ihn jemand erhängt«, äußere ich die Vermutung und lasse auch nicht aus, dass ein depperter Dorfpolizist mich für einen möglichen Täter hält.
»Ja, aber warum?« Das Telefon läutet wieder.
»Geht denn hier niemand an den Apparat?«, plärrt Helfried Brandt von hinten und eilt, die Hände in halbtransparenten Gummihandschuhen steckend, dabei von sich streckend und wedelnd, herbei. Seine Metzgerschürze ist bespritzt. Schnell greift die Engel zum Hörer und meldet sich. Der Bestatter macht auf dem Absatz kehrt und wendet sich seiner Profession zu, nehme ich an.
Während Felicitas telefoniert, offensichtlich mit einer Angehörigen eines soeben Verschiedenen, schaue ich mich bei meinem neuen Arbeitgeber ein wenig um und folge Brandt. Hast du nicht ihr heftiges Kopfschütteln bemerkt, als du durch die Tür nach hinten gingst, fragt der Rechtsverdreher. Nein, meine Neugier treibt mich den Geräuschen entgegen, die von der vor mir befindlichen massiven Holztür größtenteils zurückgehalten werden. Ich lausche angestrengt, dabei schwebt meine Hand über der Klinke. Erst klopfen, sagt mir der Anstand. Gläser klappern, Schritte schleifen, Metall stößt gegen Metall, dazwischen in sich nähernden und entfernenden
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