Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenklang

Totenklang

Titel: Totenklang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sinje Beck
Vom Netzwerk:
lässt.
    »Was soll das hier werden? Ein Krippenspiel? – Weihnachten ist doch längst vorüber!«, presse ich meine Wut über die Behandlung aus mir heraus. Er schubst mich in die Heizkörperecke, will eigentlich den Raum verlassen, überlegt es sich anders, macht auf dem Absatz kehrt, tritt ganz nah an mich heran …
    »Du hast ja gar keine Ahnung. – Weihnachten! Pfff! Hättest du wenigstens Karfreitag gesagt. – Aber auch das trifft es nicht, du Dummkopf. Und genauso soll es bleiben.«
    Er wirft mich nicht zu Boden, dabei könnte ich mir das Kostüm zerreißen, auch fesselt er mich nicht, meine Hände werden wohl noch gebraucht. Ich bekomme eine Fußkette, die ich mir selbst anlegen muss. Kalle kann gar nicht mehr hinsehen, so stark empfindet er die Demütigung. Ja, der kleine Held in mir würde jetzt auch lieber einen Jackie-Chan-Film drehen, doch mit dem kurzen Lauf einer Pistole zwischen den Hinterbacken kann man nicht wählerisch sein.
    Als er den Raum verlassen hat, flüstert der Advokat: Hast du gemerkt, seine Anspannung macht ihn vergesslich. Er wäre beinahe rausgegangen, ohne dich zu fixieren.
    Das morgendliche Licht, das durch das schmutzige Kellerfenster hereinstrahlt, reicht aus, um die Einzelheiten im Verließ genauer zu betrachten. Ich teste meine Reichweite mit Kette und gelange bis zu dem fliegenumschwirrten Eimer. Die Neugier besiegt den Ekel. Vorsichtig lupfe ich den provisorischen Deckel und schlucke. Hanfs Haut weicht noch immer in der Masse. Die Fliegen, die schnell genug waren, in den Brei zu hüpfen, bevor ich den Deckel angewidert fallen lasse, haben jetzt ein Problem. Die anderen versuchen unterdessen weiterhin, ihre Art zu erhalten. Versuche du das auch mal, rät der Advokat. Ja, ja.
    Determinieren wir also die Aufgabenstellung des Überlebens in kleine Teileinheiten. Zeitlich, strategisch, kontrafaktisch? Am besten alles. Die nächsten Stunden des Überlebens scheinen gesichert, denn sonst hätte Franky mich nicht in diesen Fummel gezwungen. Es gilt herauszufinden, zu welchem Zweck. Welches Stück soll zur Aufführung gebracht werden? Womit wäre der Spielleiter in die Krise zu treiben, derart, dass er Fehler machen wird?
    Das Gewand, das kühl meinen Körper umspielt, ist aus Satin. Ein Mönch bin ich also nicht. Die Haare zu Locken – der gesamte Engelskult. Welcher von den Erzengeln bin ich also? Barachiel ist tot. Denk nach, Heiner, was war sein Job? Er war der Helfer – Friedhofshelfer, das passt ja. Wie weit muss die Geschichte gereift sein, dass Franky bereits auf seinen Helfer verzichten kann?
    Uriel – Felicitas, die Gefährtin, sie wird noch gebraucht. Michael war der Chef der himmlischen Schar. Der werde ich wohl nicht sein, ich wurde noch nie aus dem Stand rausbefördert. Dann gab es den Fürbitter und den Vergelter, den, der die Drecksarbeit erledigt. Das käme schon recht nah an meine bisherigen Arbeitsgelegenheiten.
    Erst jetzt fällt mir auf, dass ich wie angewurzelt neben dem Eimer stehen geblieben bin. Aus der Starre heraus bemerke ich einen Karton in dem Regal, der gestern noch nicht da war.
    Es wäre sicher von Vorteil zu wissen, was sich darin befindet. Mist, ich komme nicht daran. Die Kette ist zu kurz. Aus dem Karton ragt etwas Längliches heraus. Es ist in Papier gewickelt.
     
    Plötzlich geht die Tür auf und ich mache einen Satz zur Seite. Zu meiner Überraschung erscheint nicht Franky im Rahmen, sondern Abi, Lars Sommer. Er ist nicht minder überrascht als ich und überspielt das mit lautstarkem schrillen Gegacker. Er lacht wie ein asiatischer Kampfhahn im Stimmbruch.
    »Franky, was ’n das?«, ruft er in die Wohnung hinein. Ich vernehme so etwas wie, er solle die Klappe halten, den Eimer und den Karton bringen.
    Na, das Machtgefüge wäre auch klar. Ob der Eimer dem spillerigen Kerlchen nicht zu schwer sein wird? Ich könnte ihn übertölpeln. Und dann, will der Advokat wissen. Dann kommt Franky herein und dem zimmere ich die Tür vor die Stirn, dass er schneller die Engelein singen hört als gewollt. Ein guter Plan, der gleich darauf durchkreuzt wird. Franky kommt bereits, holt sich selbst den Eimer, mault etwas vor sich hin und befiehlt Abi deutlich, den Karton endlich herbeizuschaffen.
    Der greift sich das Paket, sein Kichern mühsam unterdrückend, wobei ihm das herausragende Teil herunterfällt. Das Papier löst sich noch im Flug und auf der Erde schlägt eine schwarze Geißel auf, eine dreischwänzige mit geflochtenem Ledergriff.
    Abi hebt die

Weitere Kostenlose Bücher