Totenkult
entgegen.
»Hund, Gott sei Dank.« Bosch hastete mit bloßen Füßen über die rissigen Holzbohlen. »Was machst du denn da?«
Der Hund bellte zweimal und wedelte wie verrückt mit dem Schwanz. Es sah aus, als wedelte der Schwanz mit dem Hund.
»Bin schon da.« Endlich hatte Bosch das Tier erreicht. Er fasste den Hund am Halsband und wollte ihn mit sich an Land ziehen. Doch dann merkte er, dass er das nicht konnte.
Ein dicker Strick lag um den Hals des Hundes. Das andere Ende lief über den Rand des Steges und hatte sich offenbar darunter verfangen. Bosch versuchte, den Knoten aufzuknüpfen, doch er war auf eine so eigenartige Weise in sich verschlungen, dass er ihn nicht lösen konnte. Er ließ sich auf die Knie nieder. Der Hund leckte enthusiastisch über seine Wange.
»Bedank dich später.« Bosch legte sich schwerfällig auf den Bauch, robbte zum Ende der Holzbohlen und spähte unter den Steg. Zum Glück war Vollmond und die Sicht gut. »Was hast du denn jetzt wieder angestellt?« Der Strick hing gerade ins Wasser. Bosch packte ihn fest und zupfte probeweise daran. Das Seil bewegte sich ein wenig und gab zögernd nach. Etwas schien daran zu hängen. Zentimeter für Zentimeter zog Bosch es heraus. »Wieso bellst du eigentlich nicht, wenn wir Einbrecher … Was ist denn das?«
Mit einer letzten Anstrengung riss Bosch an dem Seil und wäre um ein Haar von dem schweren Gegenstand getroffen worden, der an seinem Ende hing. Ein großer Stein polterte über die Bretter und blieb knapp vor dem Hund liegen. Der machte einen Satz zur Seite und setzte sich vor Schreck hin.
Ungläubig starrte Bosch auf den Felsbrocken. Wasser tropfte von seinen Zacken und färbte die Bretter schwarz. Obwohl die Nacht warm war, breitete sich eine Gänsehaut über Boschs Körper aus. Jemand hatte seinem Hund einen Stein um den Hals gebunden.
Auf einmal hatte Bosch das Gefühl, als könne er nicht mehr atmen. Rasch beugte er sich vor, zerrte dem Hund die Schlinge über die Ohren und warf sie beiseite. Dann gaben seine Beine nach, und er sank auf die harten Holzbohlen. Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen. Seit seiner Kindheit hatte er nicht mehr geweint, aber jetzt spürte er ein beengendes Gefühl im Hals und ein Brennen in den Augen. Was, wenn der Hund ins Wasser gesprungen wäre, wie er es manchmal tat? Um einen Fisch zu fangen oder eine Ente zu ärgern? Der Gedanke an eines seiner besten Bilder, das jetzt zerstört auf der Staffelei stand, schien ihm dagegen ganz unbedeutend. Wer tat so etwas? Und warum? Der, der ihm die Voodoopuppe geschickt hatte.
Eine raue Pfote legte sich zaghaft auf seinen Arm. Bosch hob den Kopf. Der Hund schaute ihn an. Der Mond spiegelte sich in seinen Augen. Warum hatte er den Einbrecher nicht verbellt? Weil der kein Fremder war, natürlich. Diese Einsicht nützte Bosch jedoch nichts. Ein Streuner kannte Gott und die Welt. Vielleicht war der Täter sein ehemaliger Herr. Oder nur jemand, der ihm einmal einen Kanten Brot hingeworfen hatte.
»Weißt du, was ich glaube?« Bosch stupste die feuchte Nase an. Der Hund nieste. »Irgendwer will uns loswerden.«
Da spitzte der Hund die Ohren und wandte seine Schnauze dem Wasser zu. Seine Nase bewegte sich. Eine Brise trug das Sirren eines Elektromotors über den See. Es wurde rasch leiser. Ein Boot musste ohne Positionslichter mitten in der Nacht unterwegs sein. Dann war nur noch das Schlagen der Wellen zu hören. Dreiecke aus silbernem Licht tanzten auf dem schwarzen Wasser.
Der Hund legte die Ohren an und kroch auf Boschs Knie. Mit einem Seufzer schob er seinen schmalen Kopf zwischen die Vorderpfoten und schloss die Augen.
Bosch legte seinen Arm über den Hunderücken, und die Stille ergriff von ihm Besitz und ließ ihn ruhig werden. Nur sein Herz schien schneller zu schlagen, seine Augen schienen mehr zu sehen als sonst. Der volle Mond tauchte die Landschaft in alle Grautöne und schuf eine Schattenwelt. Ein Windhauch wehte kühle Luft heran und fächelte durch das fahle Schilf. Die trockenen Halme knisterten, und das Wasser murmelte zwischen ihren Stängeln.
Dort lag er, der dunkle und doch so verlockende See. Unter dem flüssigen Silber seiner Oberfläche konnte Bosch seine Tiefe spüren, die die Geheimnisse einer unsichtbaren Welt barg. Auf einmal wurde ihm klar, dass er die stille Zwiesprache mit dem See, der ihn anzog, der seine Phantasie beflügelte und ihm die Bilder schenkte, die ihm eine Zukunft als Maler
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