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Totenmal

Totenmal

Titel: Totenmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Lykk
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außerordentlichem Wert. Darüber hatte sie sich im Internet informiert.
    In seinem letzten Gespräch mit ihr hatte er wieder von diesem dunklen Kapitel in der Familiengeschichte der Bordevigs angefangen. Ein Vorfahre aus Altona, Advokat Jakob Bordevig, war Anfang des 19. Jahrhunderts in Kopenhagen hingerichtet worden. Er hatte dem König einen Rat gegeben, der fast zum Ende der Monarchie geführt hatte. Man hatte ihn hingerichtet, so wie es damals Hochverrätern zukam. Zuerst hatte er über das Blut eines seiner vorher auf dem Schafott hingerichteten Diener die Holztreppe zum Schafott hinaufkriechen müssen, ständig war er auf dem Blut, das an dem Gerüst herunterlief, ausgerutscht. Dann wurde die rechte Hand abgeschlagen. Dann sein Kopf. Nach der Vierteilung seines Körpers wurde seine Leiche auf einem offenen Leiterwagen durch die gaffende Menge gefahren.
    Sie sollte aufpassen, hatte ihr Onkel gesagt. Sie sei eine Bordevig und trage deshalb auch die Erbmasse dieses unglücklichen Vorfahren. Es sei die ewige Mahnung für alle Bordevigs, sorgfältig die juristischen Ratschläge für den ratsuchenden Mandanten abzuwägen und den Lebensstil danach auszurichten. Was ihr Onkel damit genau gemeint hatte, war ihr nie aufgegangen. Aber dass sie Jakob Bordevigs Gene in sich trug, hatte sie dem Onkel geglaubt, schließlich deckte es sich mit dem, was sie in den Zeitungen darüber gelesen und im Fernsehen gesehen hatte. Die Gene, so hatte Onkel Torsten ihr gesagt, bestimmten das Handeln jedes Menschen und führten also möglicherweise zu dem in den Genen für einen Bordevig vorbestimmten Ende.
    Nur, dachte sie, dass ihr statt der abgehackten Hand ein Nagel in der Hand bevorstand. Und statt der Enthauptung nur ein Hammerschlag auf den Kopf. Sie wollte als Erste Bordevig beweisen, dass es trotz dieser Veranlagung nicht zwangsläufig auf dieses angeblich vorbestimmte Ende zulief.
    Sie machte noch ein paar stille Schießübungen. Danach nahm sie die zwei Patronen vom Regalbrett, lud sie und fünf weitere Patronen in das Magazin, wog die Waffe in der Hand, machte eine weitere stille Schießübung und wickelte sie zärtlich wieder in das Wachstuch. Legte alles zusammen in die Holzschatulle, schlug das Segeltuch darum und lief mit dem Bündel unter dem Arm die Treppe hoch in ihre Wohnung.
    Dort versteckte sie das Bündel in einer Schrankschublade mit Schals. Wie sie die Waffe bei sich verstecken könnte, um sie immer bei sich zu haben, würde sie später überlegen. Erst musste sie darüber nachdenken, ob sie Dagobert anrufen sollte.
    Sie duschte sich, betrachtete im Spiegel kritisch, aber doch zufrieden ihren nackten Körper, zog sich ihren bequemen Hausanzug an, legte eine  CD von Joe Cocker in die Musikanlage und wählte den Titel »You Are So Beautiful« und stellte auf Endlosschleife.
    Nach einem Glas Wein heulte sie ein bisschen vor sich hin, bis sie den Tränen, die über ihre Wangen liefen, mit den Fingerspitzen nachgetastet hatte. Das Abwischen der Tränen danach machte sie nie mit einem Taschentuch, sondern nur mit dem rechten Handrücken. Nur so fühlte es sich ein bisschen nach Glück an. Sie sah ihrem Spiegelbild voller Mitleid in die verweinten Augen.
    Sie wurde von einer Sekunde zur anderen ernst und sagte laut zu ihrem Spiegelbild: »So etwas darf man als Anwältin nicht tun, geschweige denn denken! Bin ich überhaupt Laura Bordevig?«
    Sie wandte sich vom Spiegel ab.
    Wie war es so weit gekommen? Dass die Welt zusammengeschrumpft war auf diesen einen Tunnel, in dem sie und ein Mörder sich gegenüberstanden? War das Liebe? Ja, sie hatten sich einmal geliebt, jedenfalls körperlich.
    Sie stoppte die Musik. Womöglich steigerte sie sich noch in etwas hinein, aus dem sie nicht so leicht wieder herauskam, und würde wie einige der Frauen, die sie kannte, jeden Abend literweise Rotwein in sich hineinschütten. Mit ihrer Methode blieb es bei zwei Gläsern. Es war besser, wenn sie sich jetzt einen Moment auf das Problem Dagobert konzentrierte.
    Sie goss sich das zweite Glas ein, trank einen Schluck und stellte das Glas auf das Nähtischchen ihrer Großmutter und setzte sich auf das Sofa. Sie sah eine Weile der schaukelnden Oberfläche des Weins im Glas zu, bis er fast zur Ruhe gekommen war.
    Sie hatte ein schlechtes Gewissen gegenüber Dagobert. Ließe sich daran etwas ändern? Sie hätte

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