Totenmesse - Patterson, J: Totenmesse - Step on a Crack
Großvater konnte dafür sorgen, dass Malachy oder Frank McCourt ihre Tweedmützen fraßen. Er war die größte, stürmischste noch lebende Karikatur eines Iren. In den Vierzigerjahren war er als Zwölfjähriger in dieses Land gekommen. Mehr als sechzig Jahre waren also vergangen, seit er seinen Fuß auf den »alten Rasen« gesetzt hatte, wie er sich ausdrückte, aber wenn man ihn nicht besser kannte, dachte man stets, er wäre gerade erst vom Torfstechen heimgekehrt und hätte den Esel in den Stall gebracht.
Doch er kam immer bei uns zu Hause vorbei, um nach
seinen Urenkeln zu sehen. Unter seiner dicken Kruste lag, Gott sei Dank, ein Herz aus reinem Gold.
»Wo ist Mary Catherine?«, fragte ich.
»So heißt sie also. Wir wurden einander nicht vorgestellt. Warum hast du mir nicht gesagt, dass ihr noch ein Kind adoptieren wolltet?«
Ich wusste es. Die schwache, aber tödliche Andeutung. Wenn man genau hinsah, erkannte man, dass Seamus’ Zunge die Form einer Rasierklinge hatte.
»Der Witz war gut, Alter«, konterte ich. »Den hast du dir bestimmt den ganzen Nachmittag über aufgesagt. Mary Catherine ist zufällig das Aupairmädchen.«
»Aupair. Nennt man die heute so?«, fragte er. »Sei vorsichtig, Micheál. Eileen, deine Großmutter, hat mich einmal in Dublin erwischt, wie ich auf der Straße mit einem Aupair-Mädchen geredet habe. Sie hat mir drei Rippen gebrochen.«
»Dublin?«, fragte ich nach. »Das ist komisch. Ich dachte, Oma Eileen kam aus Queens.«
Während er anfing zu stammeln, berichtete ich ihm von dem Brief von Maeves Mutter und Mary Catherines geheimnisvoller Ankunft am Abend zuvor.
»Du bist für alles Irische zuständig«, sagte ich. »Was hältst du davon?«
»Es gefällt mir nicht«, erklärte er. »Dieses junge Mädchen könnte es auf was abgesehen haben. Pass auf dein Silbergeschirr auf.«
»Puh, danke für die Warnung, du misstrauischer, alter Trottel«, erwiderte ich schließlich. »Und apropos Gänse, ich weiß nicht, wann ich von hier wegkomme, aber sag ihnen, sie sollen mit ihren Hausarbeiten anfangen. Mit ihren Pflichten. Sie wissen dann schon Bescheid.«
»Hat das was mit der Liste am Kühlschrank zu tun?«, wollte mein Großvater wissen.
»Ja, genau«, antwortete ich.
»Wessen Idee war das? Deine oder Maeves?«, fragte er misstrauisch.
»Maeves«, antwortete ich. »Sie dachte, es wäre gut, ihnen eine positive Beschäftigung aufzutragen. Um sie abzulenken. Abgesehen davon helfen sie tatsächlich. Es ist überraschend, was zwanzig Hände, sogar diese kleinen, leisten können.«
»Das ist keine gute Idee«, widersprach mein Großvater fröhlich. »Das ist eine hervorragende Idee. Kein Wunder, dass sie von Maeve stammt.«
Ich musste lachen. Er liebte Maeve genauso wie wir. »Bist du jetzt fertig? Oder hast du noch weitere Beleidigungen auf Lager?« Ich wollte ihm das letzte Wort lassen.
»Ein paar«, bejahte Seamus. »Aber die hebe ich mir für später auf.«
44
Dies war wie eine der absurden Situationen in einem Albtraum, in der man ständig denkt: Das kann doch nicht wahr sein, ich werde gleich aufwachen, dann ist alles vorbei.
Die »Gefahrenzone« war ausschließlich von Polizisten besetzt und für die Presse verboten. Der nächste, weiter außen gelegene Ring gehörte den Medien und wurde von Fernsehübertragungswagen mit riesigen Antennen beherrscht. Dazwischen liefen die Kabel kreuz und quer durcheinander, Reporter saßen an ihren Rechnern, überall standen Monitore herum. Hin und wieder beriefen wir eine Pressekonferenz ein, um die Nachrichtenleute zu füttern.
Die tragbaren Generatoren für die Lampen dröhnten immer noch in der Kälte, als ich zurück zum Bus ging. Commander Will Matthews war dort. Mit allen Rechtsbeiständen der Geiseln habe man Kontakt aufgenommen, informierte er mich, und jetzt hingen wir in der Warteschleife.
»Das ist der qualvolle Teil«, fuhr Will Matthews fort. »Jetzt können wir nur noch abwarten und Tee trinken.«
»Hey, Mike.« Martelli erhob sich. Obwohl er bei der Belagerung von Anfang an dabeigewesen war, sah man ihm die Strapazen nicht an.
»Das ist nicht persönlich gemeint, aber Sie sehen fertig aus. Warum ziehen Sie sich nicht einen Moment zurück? Diese Witzbolde sagen, sie würden die nächsten Stunden nicht anrufen, und wenn sie es tun, brauchen wir - und
viel mehr noch die Geiseln da drin - einen ruhigen, ausgeruhten Unterhändler.«
»Er hat Recht. Schnappen Sie sich was zu essen. Schließlich brauchen wir Sie auf
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