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Totenmesse

Titel: Totenmesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Flaschen mit Mineralwasser, Würste, getrocknete Schinken, hartes Brot, Konserven – Nahrungsmittel, die nicht anders gekühlt zu werden brauchten als durch die gleichbleibende Kälte des Erdkellers. Und sogar ein paar Flaschen Bier und Wein.
    Der geheime Vorrat des Restaurants.
    Ich kletterte wieder nach oben und schlief ein. Wenn man es Schlaf nennen kann.
    Ich erwachte davon, dass mich die Kälte schüttelte. Sie nahm mir fast den Atem. In den Trümmern des schweren Schranks fand ich Tischdecken, große, schwere Leinentischdecken, in die ich mich wickelte. Dann kletterte ich auf einem scheppernden, rutschenden Haufen von Schutt nach oben. Ich erreichte eine Art Kante, anscheinend ganz einfach die Erdoberfläche. Ich tastete mit der Hand die Kante ab. Dann gelangte ich an eine Stelle, wo der Schutt loser war, und begann dort zu graben. Ich grub ein Loch nach draußen – ja, wohin? An die Außenwelt? Auf jeden Fall sickerte eine Art Licht herein. Ich machte die Taschenlampe aus und begriff, dass ich rationieren, das Tageslicht abwarten musste.
    Es kam. Langsam ergoss es sich durch meinen ausgegrabenen Schacht und erhellte mein Limbo, mein Grab. Hier saß ich fest. Mir selbst und meinen Gedanken überlassen. Plötzlich kein Krieger mehr, nur noch ein Denker.
    Der Aufruhr meines alten Ichs gegen mein neues.
    Schließlich war es hell genug zum Schreiben. Am Anfang war das Wort. Ich nannte die Zeit acht Uhr vierundzwanzig. Das Wort wurde Fleisch. Ich tauschte das Schwert gegen die Feder. Ich werde es nie zurücktauschen.
    Du Gott, an den ich nicht glaube, war dies deine Absicht? Ich beginne fast, es zu glauben, obwohl ich nicht an dich glaube. Du hast etwas mit mir vor. Ich wurde in einen Mörder verwandelt, einen Massenmörder. Ich verdiente es zu sterben.
    Aber du hast mich nicht sterben lassen.
    Du hast etwas mit mir vor.
    Du Gott, an den ich nicht glaube, der du dich dafür entschieden hast, dein Auge zu verhüllen mit dem Rauch dessen, um das wir Krieg führen, willst du das zu mir sagen? ›Du hast dich geirrt, du bist nicht der, für den du dich hältst. Du bist kein Mörder. Du kannst – und im Innersten hast du immer daran geglaubt – die Welt ändern. Du kannst die Vergangenheit ändern.‹
    Denn weit dahinter ist der Himmel vollkommen blau.
    Klarblau.
    In meiner Forschung war es mir um die Vermeidung von Fossilien gegangen. Wie man Dinosaurier vermeidet, das Schicksal der Dinosaurier. Wie man fossile Brennstoffe vermeidet. Es gibt eine Alternative. Wir können sie finden, ernstlich. Ich war auf einem guten Weg, als der Krieg kam und mich mit sich riss. Ich frage mich, was geschehen wäre, wenn ich ins Ausland gegangen wäre. Hätte mich jemand haben wollen?
    Alles steigt wieder auf in mir. Es reicht, das Gehirn aus dem Morast herauszufiltern, aus den Ablagerungen des Todes und des Tötens, und zu denken. Zu diesem Zweck ist mir ein Raum geöffnet worden. Hier und jetzt.
    Denn es ist klar, dass du einen Scherz mit mir treibst, Gott, an den ich nicht glaube. Du treibst einen Scherz mit mir, und es ist dein blutigster Ernst. Hier, genau an diesem Ort, an dem der Krieg sich verdichtet und sein wahres Gesicht zeigt, gerade da, wo der Kampf ums Öl in dem Rauch ebendieses Öls aufgeht, gerade hier muss es geschehen. Ich verstehe, wie du denkst.
    Ich bin tot, und gleichzeitig lebe ich weiter. Du hast mich hierhergezwungen. Jemand in diesem Krieg, in dieser Höllenstadt, muss als etwas anderes sterben als als Teufel.
    Du hast mir einen Raum des Denkens aufgetan. Der Raum liegt jenseits von Leben und Tod. Das werde ich mir zunutze machen.
    Es gibt Papier, es gibt einen Stift, es gibt ein Gehirn.
    Der Rest ist Überfluss.
    Nein, der Rest ist Schweigen.

36
    Dies war der Augenblick, in dem Paul Hjelm schließlich Niklas Grundströms Größe begriff.
    Er hätte das Gefühl nie genau benennen können, das ihn jedes Mal überkam, wenn er dem Chef der Sektion für Interne Ermittlungen nahe war. Es war ein zeitweise ziemlich starkes Unbehagen und zugleich ein fast totales Vertrauen, eine so ungewöhnliche Kombination, dass er sie als ein neues Gefühl betrachten musste. Und wirklich neue Gefühle erlebt man mit zunehmendem Alter immer seltener.
    Sie standen an einer Hügelkuppe auf einem schmalen Feldweg, der von dem etwas breiteren Fahrweg abzweigte. Der Schnee fiel in dicken Flocken

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