Totenmesse
Fischer ruhig und richtete seine klarblauen Augen auf Holms braune.
»Wir müssen ihn fassen«, sagte Kerstin Holm. »Er steckt hinter einem Raub mit gewaltsamer Geiselnahme, er hat das Konto einer Bank um zwanzig Millionen erleichtert, er hat uns dazu gebracht, einen groÃen Teil von Stockholm zu evakuieren, er zog eine Reihe rücksichtsloser Nachrichtendienste nach Schweden, und er hat sich auf geheimnisvolle Weise in die Reihen unserer Polizei eingeschlichen. Es ist wichtig, dass Sie mir alles sagen. Alles, was Ihnen einfällt.«
»Ich muss mich in meine Erinnerung vertiefen«, sagte Fischer.
»Die Welt, die Sie sich aufgebaut haben, Fischer, wird nicht einstürzen«, sagte Kerstin Holm. »Es sei denn, ich entscheide mich dafür. Es liegt in meiner Macht. Das verstehen Sie wohl?«
»Das ist mir bewusst. Ich werde mich anstrengen.«
»Haben Sie wirklich keine Ahnung, worum es hier geht? Was er in Ihre Wand eingemauert hat?«
»Nein, ich weià es wirklich nicht. Aber es muss sich um Dokumente handeln. Wirklich wichtige Dokumente.«
»Wo ist er?«
»Aber ich habe nicht die geringste Ahnung«, sagte Sven Fischer. »Er verschwand damals. Und verschwinden war seine Spezialität.«
»Was könnte ihn dazu bringen, wieder zur Waffe zu greifen?«
Fischer sah mit glasklarem Blick auf. »Nur eine persönliche Katastrophe«, sagte er.
Kerstin Holm nickte und sagte: »Bleiben Sie hier sitzen, und überdenken Sie die Sache.«
Dann wandte sie sich zu ihrer A-Gruppe um: »Und jetzt, meine Freunde, haben wir andere Dinge zu tun.«
41
Sonntag, den 4. Oktober 1942,
zwei Uhr fünfundzwanzig am Nachmittag
Ich schreibe wieder. Es ist ein Wunder. Die Feder ist doch mächtiger als das Schwert.
Am besten versuche ich, das, was geschehen ist, zu rekapitulieren, solange ich noch daran glaube.
Spät gestern Abend. Spatenstiche an meiner kleinen Ãffnung zur AuÃenwelt. Vollständiges Dunkel. Ich legte den Stift weg, löschte mein kleines Feuer und hob das Gewehr.
Nichts war zu sehen. Es war auch nichts mehr zu hören. Keine Spatengeräusche mehr.
Ich begriff, dass die Ãffnung zur AuÃenwelt so erweitert worden war, dass Menschen eindringen konnten. Doch es war völlig still.
Man kann nicht von Zeit sprechen, die verstrich. Ich weià nicht, wie ich es nennen soll. Reine Angst vielleicht. Ganz einfach.
Diffuse Geräusche. Und ich spürte, dass ich nicht mehr allein war in meiner Höhle.
Eine Lampe wurde angemacht, ganz plötzlich. Ich war geblendet. Der andere zum Glück auch. Als wir wieder sehen konnten, standen wir vielleicht vier Meter voneinander entfernt, die Gewehre aufeinander gerichtet.
Sein Gesicht sah wohl aus wie meins. Tarnfarben, wild starrender Blick aus dem Schwarzen. Und in derselben Sekunde erkannten wir uns.
Es war Doktor Maxim Kuvaldin. Wir starrten uns an, und von irgendwoher trat ein Lächeln auf seine Lippen.
Wahrscheinlich auch auf meine, denn ich sagte: »Es gibt eine Alternative.«
Ja, er fing an zu lachen. Er schüttelte den Kopf und legte das Gewehr weg. »Streppy«, lachte er.
Ich stand ein wenig unbeholfen mit gesenktem Gewehr da.
»Ich glaubte, es wäre eine Einbildung gewesen«, sagte Maxim Kuvaldin in seinem gebrochenen Deutsch. »Dass Streppy der Doktorand Hans Eichelberger von der Universität Berlin war.«
»Doktor Maxim Kuvaldin«, sagte ich.
»Nicht so viel Doktor«, sagte er und legte mir die Hand auf die Schulter.
Wir setzten uns auf den Boden des Erdkellers. Es war alles sehr unwirklich.
»Streppy?«, sagte ich.
»Zajtsev nennt Sie so«, sagte Kuvaldin. »Es ist ein Wortspiel mit dem russischen Wort für âºSchützeâ¹. Er sieht Sie als seinen Hauptgegner unter den Meisterschützen an.«
»Und Sie sind der ballistische Experte des Meisterschützen Zajtsev?«
»Ich kümmere mich darum, dass die physikalischen Voraussetzungen stimmen, ja. Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr. «
»Jetzt?«
»Jetzt, da ich mich mit dem Feind eingelassen habe. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.«
»Es gibt eine Alternative«, sagte ich. »Ich bin nicht mehr der Meisterschütze Streppy.«
»Sie sind also wieder Forscher?«, nickte Kuvaldin.
»Ich versuche es«, sagte ich und hielt ihm mein Notizbuch hin.
Er widmete ihm einige Stunden im Licht meines bescheidenen Feuers. Ich
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