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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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eingegraben. Er war ganz in Schwarz gekleidet, und kleine Schweißtropfen standen ihm auf den Schläfen. Er lächelte und machte eine abwehrende Geste. »Sorry, wollte Sie nicht stören.«
    »Sie stören mich nicht.«
    Er deutete mit dem Zeigefinger auf die Bühne. Sie war bis auf Verstärker, Schlagzeug und Mikrofonstative leer. »Ich habe Sie die ganze Zeit von da oben beobachtet, und Sie haben nicht bei einem einzigen Lied geklatscht, sondern nur vor sich hin gestarrt und durch mich hindurchgesehen, als wäre ich aus Glas.«
    Alex schmunzelte. Jetzt war ihr klar, wer der Typ war und warum er so schwitzte. Eben hatte er noch im Licht der Bühnenscheinwerfer Gitarre gespielt und vom traurigen Mond gesungen.
    Sie fragte: »Sie sind es wohl nicht gewohnt, dass man Ihnen nicht zujubelt?«
    »Ach, unwichtig.« Er winkte mit einem verschmitzten Lächeln ab, trank einen Schluck Bier, und Alex entging nicht, wie er sie dabei betrachtete. Ihr Gesicht. Die feine Goldkette. Den Ausschnitt ihrer taillierten und weit aufgeknöpften weißen Bluse. Ihre übereinandergeschlagenen Beine in der engen schwarzen Jeans, die im weichen Leder kniehoher schwarzer Stiefel steckte, die so gerade eben über den geschwollenen Knöchel gepasst hatten.
    Dann wuschelte er sich durch die Haare, suchte augenscheinlich nach Worten und fand sie schließlich. »Also eigentlich hatte ich mich nur gefragt, warum jemand wie Sie da so alleine am Tisch sitzt, und …«
    Alex rollte mit den Augen. »Wollen Sie jetzt wissen, ob ich was trinken will und öfter hier bin, und hinzufügen, dass es laut Bumm gemacht haben muss, als ich vom Himmel fiel?«
    Er betrachtete sie mit einem Ausdruck, den Alex nicht zu deuten wusste. »Nein, wenn Sie öfter hier wären, wüsste ich das, denn ich spiele hier fast jeden Sonntag. Und wenn welche wie Sie runterfallen, macht das ein anderes Geräusch. Eher so ein lautes Platschen.«
    »Boah!«, machte Alex und lachte fassungslos.
    Er trank den Rest Bier aus und grinste wie ein kleiner Junge. »Das Klatschen ist das Geräusch von Prinzessinnen, die man ab und zu mal in eine Pfütze fallen lassen muss, bevor man sie weiter auf Händen trägt.«
    Hatte er das gerade wirklich gesagt? Wie war der denn drauf? Alex schmiegte das Gesicht in die Hand, stützte den Arm auf dem Tisch auf. »Sie haben eine ungewöhnliche Art, Frauen anzumachen. Ich kenne das Geräusch. Ich erlaube Ihnen sogar, weiterzureden. Aber nur deswegen, weil ich wissen will, wie Sie aus der Nummer wieder rauskommen.«
    Er nickte und stellte bei einer Kellnerin, die ein Tablett mit Biergläsern durch die engen Reihen der Gäste balancierte, sein Bierglas ab und griff sich ungefragt ein neues, was das Mädchen mit einem Lächeln quittierte.
    »Also, Neustart: Ich habe mich gewundert, was Sie hier machen, wenn Sie schon nicht auf Blues stehen. Von der Bühne aus sitzen Sie nun mal in meiner Sichtachse und bauen diese …« Er wedelte mit der Hand und deutete auf den Bierdeckelturm vor Alex. »Sie bauen diese Bierdeckeltürme. Einen nach dem anderen.«
    Alex lachte laut auf. Dann wischte sie die Bierdeckeltürme zur Seite. »Das können Sie alles von dort oben sehen?«
    Der Mann schaute zur Decke und deutete mit einem Nicken nach oben. Alex folgte seinem Blick, starrte in das grelle Licht eines nach unten strahlenden Scheinwerfers und sah sofort wieder weg. Grüne und rote Punkte tanzten vor ihren Augen.
    »Sie sitzen mitten im Licht«, erklärte er, »und sind einfach nicht zu übersehen.«
    Alex blinzelte, um die Geisterbilder zu vertreiben, die der Strahler auf ihrer Netzhaut hinterlassen hatte. »Frauen im Rampenlicht interessieren Sie?«
    »Nein.« Er griff sich einen Stuhl und setzte sich neben Alex. »Nur solche, die ich nicht übersehen kann, die aber mich übersehen, wenn ich mir die Seele aus dem Leib singe, und stattdessen lieber Bierdeckeltürme bauen.«
    »Also doch ein Ego-Problem.« Alex trank einen Schluck Wein, sah dem Mann betont tief in die Augen und leckte sich mit der Zungenspitze etwas Rioja von der Unterlippe, was ihm nicht zu entgehen schien.
    »Wer weiß«, antwortete er und legte den Kopf schief. »Jedenfalls wird man als Musiker meistens auf die Show angesprochen, wenn man von der Bühne kommt, und nicht analysiert.«
    »Und mich will man für gewöhnlich nicht sofort ins Wasser werfen, noch bevor man meinen Namen kennt.«
    »Ich bin Jan.«
    »Alex.«
    »Und das Analyse-Ergebnis?«
    »Ich weiß noch zu wenig über deine Kindheit.«
    Jan

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