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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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gezogen und hatte vorher woanders gelebt.
    Schließlich legte sie die Akte beiseite, schloss die Augen, streckte sich auf dem Sofa aus und ließ ihren Gedanken freien Lauf.
    Beide Tatorte lagen in Lemfeld. Beide befanden sich in Industriebrachen. Die alten Schliemannschen Möbelwerke auf der einen Seite. Auf der anderen die alte Ziegelei außerhalb der Stadt. Nele wurde im Sommer getötet, Antje im Winter. Vielleicht spielten die Jahreszeiten eine Rolle. Beide Opfer waren Frauen und jung. Antje war Single, Nele laut Aussage ihrer Mutter ebenfalls. Sie waren beide attraktiv, aber nicht der gleiche Typ. Nele Bender lebte in einem Heim, führte eine Doppelexistenz und stammte aus zerrütteten Verhältnissen. Antje an Huef wohnte allein und kam aus einem gutsituierten Elternhaus. Keine Übereinstimmung in diesem Punkt.
    Nele Bender lebte riskant und promiskuitiv. Die Kollegen hatten einige Personen überprüft und befragt, die über das Internet mit Nele in Kontakt getreten waren. Es hatte sich zwar kein Tatverdacht erhärtet, dennoch, überlegte Alex, könnte der Täter sie in einem Forum kennengelernt haben. Facebook vielleicht.
    Alex sackte etwas tiefer in die Kissen und fragte sich, warum der Täter Antje den Personalausweis zwischen die Zähne geklemmt hatte. Weil er sich der Polizei überlegen fühlte und sie verhöhnen wollte? Weil er auch Nele Bender auf dem Gewissen hatte und keiner ihm bislang auf die Schliche gekommen war? Möglich.
    Dann dachte sie darüber nach, wie er vorging. Er suchte sich zunächst Opfer aus, die in sein Beuteschema passten. Das war Teil des Spiels. Er überwältigte sie und brachte sie an einen verlassenen Ort, wo er seine Ruhe hatte. Er fixierte die Opfer und ritzte ihnen in die Haut – mit einem Messer oder Krallen. Mit dem Blut schrieb er Zeichen an die Wand.
    Aber warum zerfetzte er die Opfer derart brutal, dass es aussah, als sei ein Werwolf oder ein wildes Tier über sie hergefallen? Spielte das Haar aus einem Leopardenfell eine Rolle, das am Nele-Bender-Tatort gefunden worden war?
    Alex überlegte, ob sie den Analysebericht der KTU in Bezug auf das Fell heraussuchen sollte, aber das Sofa war zu gemütlich, um sich zum Boden zu beugen, wo die Akte lag.
    Das brutale Vorgehen sprach einerseits für einen Blutrausch. Aber Alex glaubte nicht an einen emotionalen Kontrollverlust, der das Zerfetzen der Opfer zur Folge hatte. Sie vermutete eher, dass der Täter sich bis zu einem bestimmten Punkt völlig unter Kontrolle hatte. Er brachte die Opfer nur deswegen nicht sofort um, weil er mit ihnen spielen wollte. Wie eine Katze mit der Maus. Es ging ihm darum, den Zeitpunkt zu bestimmen. Macht auszuüben. Gefühle zu provozieren. Und er nahm sich Souvenirs mit, die Brustwarzen, wahrscheinlich noch mehr. Im Obduktionsbericht von Nele Bender stand, dass einige Fleischteile fehlten. Und Organe. Nieren. Sie waren nirgends gefunden worden.
    Alex gähnte. Das Sofa schien sie in sich hineinzusaugen. So, als würde ihr Körper immer schwerer und die Kissen immer weicher. Die Bilder von Tatorten, Opfern und Wunden verschmolzen mit der Musik, dem Schnurren Hannibals, den freundlichen Augenfalten von Jan, dem Bluesmusiker, der mit einem für Prinzessinnen vorgesehenen Silbertablett durch einen leeren Lagerraum huschte und sagte »Bitte Platz nehmen, Gräfin«, bevor er mit ihr eine Luftkissenrutsche in der Spielewelt hinabsauste, wo unten Schneider wartete und schimpfte »Und das mit deinem schlimmen Knöchel«, als alles schwarz wurde, schwer und gleichzeitig leicht – und Alex schließlich in einen tiefen Schlaf glitt.

15.
    D ann schauen wir uns das doch mal an«, sagte Dr. David Pfeiffer. Er legte seine weiche Hand sanft unter Alex’ Fußsohle und bewegte ihren Spann vorsichtig in verschiedene Richtungen. Alex keuchte. Aus den unsichtbaren Boxen in dem modern eingerichteten Behandlungsraum flutete unauffällige Loungemusik – ein Remix von Moon River. In der Ecke blubberte ein Luftbefeuchter vor sich hin. Er war gerade erst eingeschaltet worden: Alex war die erste Patientin am Montagmorgen. Kunststück, sie wohnte ja gerade mal hundert Meter weit entfernt.
    »Mhm«, machte Pfeiffer, während er ihr Sprunggelenk abtastete. In seinem leuchtend roten Poloshirt und der weißen Jeans wirkte er so, als sei er gerade vom Segeln oder aus der Tennishalle gekommen. Pfeiffer mochte Mitte dreißig, Anfang vierzig sein. Seine Haut wies noch die Restbräune eines vergangenen Urlaubs auf.
    »Wie haben Sie

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