Totennacht (German Edition)
hierherzulocken.
«Siehst du was Interessantes?», rief Tony vom Eingang aus.
«Interessantes, ja», antwortete Nick. «Etwas, das uns weiterhelfen könnte? Nein.»
Er ging weiter und stellte sich auf die Falltür. Sie war ebenfalls mit einem Vorhängeschloss gesichert und aus dicken Brettern zusammengezimmert, also stabiler als der restliche Boden, was spürbar wurde, als Tony nachfolgte. Sein erster Schritt ließ das ganze Gebäude beben.
«Du glaubst, der Junge wurde hier überwältigt?»
«Möglich», antwortete Nick. «Allerdings bezweifle ich, dass wir jemals Gewissheit darüber erhalten werden.»
Auf knarrenden Dielen kam Tony näher. «Wahrscheinlich hast du recht.»
«Gehen wir wieder nach draußen. Hoffentlich –»
Nick wollte sagen, dass der nächste Schauplatz, den sie aufsuchen wollten, hoffentlich ergiebiger sein würde, doch anstatt den Satz zu beenden, stieß er einen halb erstickten Schrei aus, nachdem Sekundenbruchteile vorher die Luke krachend unter ihm nachgegeben hatte.
Gleich darauf steckte er im Wasser, schlagartig und ohne Übergang. Soeben war er noch trocken, jetzt bis auf die Haut nass.
Das Wasser war kälter als gedacht. Und tiefer. Als er mit den Füßen den Grund berührte, hob er die Hände über den Kopf, in der Annahme, über die Oberfläche hinauszulangen. Was aber nicht der Fall war. Der Pegel maß demnach mindestens zwei Meter. Wahrscheinlich mehr.
Eisengitter, die vor und hinter ihm im Fundament steckten, versperrten den Ausweg. Immerhin sorgten sie für Licht. Um sich herum sah Nick Fäden von Wasserpflanzen nach oben reichen. Neben seinem Fuß lag eine von Algen überwucherte Steinkugel. Gleich über der Wasseroberfläche befand sich der Mühlenboden. Als er aufzutauchen versuchte, schlug er so hart mit dem Kopf gegen die Bretter, dass ihm auch noch der Rest an Atemluft wegblieb.
Die Brust schnürte sich ihm zu, als er sich ein zweites Mal mit dem gesunden Fuß vom Grund abstieß und mit nach oben ausgestreckten Händen den Aufprall abzufangen versuchte. Den Kopf in den Nacken geworfen, tauchte er auf.
Der Abstand zwischen Bretterboden und Wasseroberfläche war etwas mehr als eine Handbreit, was gerade ausreichte, um ihn aus seiner Atemnot zu retten. Verzweifelt schnappte er nach Luft und spähte durch eine Lücke zwischen den Dielen. Über ihm lag Tony bäuchlings auf dem Boden und blickte ihm entgegen.
«Donnelly? Alles klar?»
«Ich glaube, ja.»
Ein vager Glaube. Nick hatte keine Ahnung, wie es um ihn stand. Vor Schreck und von kaltem Wasser umgeben, war sein Körper wie gelähmt. Er spürte nicht einmal mehr die Schmerzen im rechten Knie. Doch das machte es nicht beweglicher. Schon zogen ihn die durchtränkten Kleider wieder nach unten.
Mit den Händen paddelnd, versuchte er, sich an der Oberfläche zu halten. Vergeblich. Er schaffte es gerade noch, ein weiteres Mal Luft zu holen, ehe das Wasser wieder über seinem Kopf zusammenschwappte. Dass er von Tony nichts mehr hörte, hatte zur Folge, dass er gänzlich die Orientierung verlor. Er wusste nicht mehr rechts von links zu unterscheiden, und die Beklemmung in der Brust war nach dem kurzen Aufatmen nur noch schlimmer geworden.
Er landete mit dem Gesäß im Schlammbett des Kanals. Als er sich wieder abzustoßen versuchte, umschlangen Wasserpflanzen seine Hand- und Fußgelenke. Er schlug mit den Armen um sich und trat mit den Beinen aus, was ihn nur noch mehr in den Pflanzen verstrickte und dazu führte, dass er auf der Seite zu liegen kam, die Schulter in den Schlamm gepresst. Die Schlingpflanzen streiften sein Gesicht. Er schob sie beiseite und fand sich neben der Felskugel wieder, vor der er anfangs gelandet war. Als er sie mit der Hand anstieß, setzte sie sich mit unerwarteter Leichtigkeit in Bewegung, rotierte um die eigene Achse und blieb mit der Kehrseite im Schlamm liegen.
Auf dieser Seite hatte der Stein zwei runde Löcher in der Mitte, dazwischen und ein Stück nach unten versetzt ein weiteres Loch. Am unteren Rand schimmerte eine Reihe von Zähnen.
Nick starrte auf einen Schädel.
Während er noch mit den Schlingpflanzen kämpfte, entdeckte er auch den Unterkiefer, halb im Schlamm versteckt, gleich daneben wölbten sich drei Rippen. Und dann war da noch eine Skeletthand, zwischen deren Fingerknöcheln Grünzeug wucherte.
Plötzlich spürte Nick eine andere Hand auf der Brust, doch die war lebendig und gehörte zu einem muskulösen Arm, der ihn nach oben zerrte.
Tony Vasquez war ins Wasser
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