Totenpfad
Polizeistaat zu wettern … na, du kennst ihn ja, er ist ein unverbesserlicher Hippie.»
Und trotzdem hatte Erik offenbar kein Problem damit, sich bei Nelson eine Grabungserlaubnis zu holen, denkt Ruth. Nichts, aber auch gar nichts, darf sich der Archäologie in den Weg stellen.
«Cathbad wird wieder freigelassen», sagt sie. «Vermutlichkommt es heute noch in den Nachrichten.» Nelson hat schließlich mit keinem Wort erwähnt, dass sie diese Information für sich behalten soll.
«Tatsächlich?», fragt Peter interessiert. «Sie lassen ihn also ganz ohne Anklage wieder frei?»
«Irgendeine Anklage gibt es sicher, das weiß ich nicht so genau.»
«Ach, komm schon, Ruth, du weißt doch alles.»
«Gar nichts weiß ich», faucht Ruth, grundlos gereizt.
«Entschuldige.» Peter setzt eine schuldbewusste Miene auf, die ihm gar nicht steht. Dann fährt er betont munter fort: «Und? Wie geht’s Shona?»
«Gut. Alles beim Alten. Sie redet immer noch die ganze Zeit davon, dass sie den Männern endgültig abschwören und ins Kloster gehen wird.»
«Wer ist es denn diesmal?»
«Ein Kollege. Verheiratet.»
«Verspricht er ihr, dass er seine Frau verlassen wird?»
«Natürlich.»
Peter seufzt. «Arme Shona.» Vielleicht denkt er ja an seine eigene Ehe, denn er scheint auf dem Stuhl in sich zusammenzusinken, und sogar sein Haar verliert an Leuchtkraft. «Ich dachte eigentlich immer, dass sie irgendwann heiratet und mindestens zehn Kinder kriegt. Die katholische Kindheit, du weißt schon.»
Ruth denkt an Shonas Abtreibungen, an die trotzigen Unabhängigkeitserklärungen im Vorfeld und die endlosen Tränen hinterher. «Nein», sagt sie. «Kinder hat sie keine.»
«Arme Shona», wiederholt Peter und sinkt noch tiefer in seinen Stuhl. Anscheinend kann ihn nur ein Schleudersitz wieder aus dem Büro befördern.
«Peter», sagt Ruth, «hattest du etwas Bestimmtes auf dem Herzen? Ich fürchte, ich muss mich langsam an die Arbeit machen.»
Er sieht sie gekränkt an. «Ich wollte nur sehen, wie es dir geht. Und ich dachte, vielleicht hast du ja Lust, heute Abend was trinken zu gehen?»
Ruth malt sich einen weiteren Frauenabend zu Hause aus: Pinot grigio, Liam, Heimservice, rätselhafte SMS.
«Ja», sagt sie. «Das wäre schön.»
Sie gehen in ein Restaurant in King’s Lynn, ganz in der Nähe des Pubs, in dem Ruth mit Nelson zu Mittag gegessen hat. Dieses Lokal fühlt sich allerdings zu Höherem berufen: eine Speisekarte ganz in Kleinbuchstaben, helle Bodendielen, quadratische Teller und Reihen flackernder Kerzen. Während Ruth eine einsame Jakobsmuschel über die endlosen weißen Weiten ihres Tellers schiebt, fragt sie: «Wie bist du denn auf dieses Restaurant gekommen?» Und setzt dann hastig hinzu: «Es ist toll.»
«Phil hat es mir empfohlen.» Das erklärt manches.
Es ist noch früh am Abend, und an den Nebentischen sitzen nur vier weitere Gäste: zwei Mittdreißiger, die es offensichtlich kaum erwarten können, miteinander ins Bett zu gehen, und ein älteres Paar, das den ganzen Abend kein Wort miteinander wechselt.
«Meine Güte, haben die kein Zuhause?», brummt Ruth, als die Mittdreißigerin anfängt, ihrem Begleiter Wein von den Fingern zu lecken.
«Wahrscheinlich sind sie beide anderweitig verheiratet.»
«Wie kommst du denn darauf?»
«Wenn sie miteinander verheiratet wären, würden sie sich nicht mal unterhalten, geschweige denn sich in der Öffentlichkeit zu sexuellen Handlungen hinreißen lassen», erwidert Peter leise. «Schau dir die zwei alten Herrschaften da drüben an. Fünfzig glückliche Ehejahre, und sie haben sich absolut nichts mehr zu sagen.»
Ruth würde gern wissen, ob seine Ehe auch so war. Einfach abwarten, ermahnt sie sich, dann wird er schon von selbst damit herausrücken. Schweigen konnte Peter nie gut ertragen.
Da seufzt er auch schon und nimmt einen großen Schluck von dem überteuerten Rotwein. «So wie Victoria und ich. Wir haben uns einfach … auseinandergelebt. Mir ist völlig klar, dass das ein Klischee ist, aber es stimmt. Irgendwann hatten wir uns schlicht nichts mehr zu sagen. Eines Morgens sind wir aufgewacht und mussten feststellen, dass wir bis auf Daniel nicht mehr viel gemeinsam haben. Natürlich mögen wir uns noch, wir gehen auch sehr freundschaftlich miteinander um, aber das Wesentliche, das ist verlorengegangen.»
Ruth liegt es schon auf der Zunge zu sagen: «Aber genau das ist doch auch mit uns passiert.» Sie weiß noch, wie sie Peter – den
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