Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz
Hessen, sondern auch das ganze Umfeld war besser dazu geeignet, seinem Hobby nachzugehen. Sollte da doch noch jemand behaupten, die Norddeutschen seien spröde, misstrauisch oder verschlossen. Nein, er wusste es besser. Es war wirklich eine gute Idee gewesen, sich hierher versetzen zu lassen.
Müde traf Anna am nächsten Morgen auf ihrer Dienststelle ein. Bis weit nach Mitternacht hatte sie mit ihrer Freundin Paula zusammengesessen und, wie schon mehrfach in letzter Zeit, auch bei ihr übernachtet. Während sie den Flur entlang zu ihrem Büro trottete, plagte sie das schlechte Gewissen, weil sie ihre Familie gestern vernachlässigt hatte. Dabei war Annas Besuch bei Paula nicht nur rein privater Natur gewesen, denn nach dem Essen hatten sich die Frauen noch vor den Computer gesetzt und im Internet recherchiert. Herausgekommen war
eine umfangreiche Liste von Kontaktbörsen, die Anna eine nach der anderen durchforsten würde, um eventuell Hinweise auf Monika Jacobsen zu erhalten. Den heutigen Abend wollte sie jedoch ganz ihrer Familie widmen, und mit ein wenig Glück käme sie sogar noch dazu, auf dem Heimweg ein paar leckere Zutaten für ein gemeinsames Abendessen einzukaufen.
Weber saß bereits an seinem Schreibtisch und war gerade dabei, die Papierfetzen aus Monika Jacobsens Mülleimer wieder zusammenzusetzen, als Anna das Büro betrat.
»Wann findet die nächste Dienstbesprechung statt?«, wollte sie wissen, während sie ihren Mantel in den Schrank hängte.
»In gut zwei Stunden«, gab Weber mit einem Blick auf seine Armbanduhr zurück.
»Gut«, nickte Anna und machte sich sofort an ihre Recherchen, deren Ergebnisse sie, kaum dass Günther Sibelius die tägliche Besprechung am späten Vormittag eröffnet hatte, zusammenzufassen begann.
»Die Suche nach Monika Jacobsens Handtasche ist leider noch immer erfolglos. Auf der Wache in Osdorf ist zwar eine Tasche abgegeben worden, die sich bei genauem Nachsehen aber als umfunktionierter Schulranzen erwiesen hat. Außerdem habe ich wegen der Haarproben nachgehakt, und inzwischen steht zweifelsfrei fest, dass das dunkelbraune Haar auf Monika Jacobsens Mantelkragen von ihrem Sohn Toni stammt. Gleich nach der Besprechung werde ich anfangen die Steuerakten von Monika Jacobsen zu sichten. Bis zur Geburt ihres ersten Kindes hat Frau Jacobsen in einer großen Steuerkanzlei
in der Hamburger Innenstadt gearbeitet, in der sie nach Aussage ihres Chefs ihren eigenen Mandantenstamm betreut hat. Frau Jacobsens ehemaliger Chef schwärmt noch heute in den höchsten Tönen von ihr. Er hat versucht, sie langfristig als Teilhaberin für seine Kanzlei zu gewinnen, und ist sehr überrascht gewesen, als Monika Jacobsen ihre Berufstätigkeit komplett an den Nagel gehängt hat. Außerdem habe ich eine Liste von Kontaktbörsen im Internet erstellt, in denen Frau Jacobsen möglicherweise gechattet haben könnte.«
»Danke, Frau Greve. Und wie weit sind Sie inzwischen gekommen, Weber? Was macht das Puzzle?«
»Malte Jacobsen kann für die Tatzeit kein Alibi vorweisen. Er gibt an, an diesem Abend zu Hause gearbeitet zu haben, doch es gibt niemanden, der seine Aussage bestätigen kann. Auch seine Kinder, die in der besagten Nacht durchgeschlafen haben, haben ihn erst wieder am Morgen des nächsten Tages gesehen, was bedeutet, dass er als Täter rein theoretisch in Frage kommt. Dasselbe gilt übrigens auch für Heiner Hofrath, der ebenso wenig wie Herr Jacobsen einen Zeugen für seinen Aufenthaltsort zur Tatzeit angeben kann. Ja, und mit dem Puzzle läuft es leider nicht so gut, da es sich offensichtlich nicht nur um ein einziges Dokument handelt. Was ich bisher an Fragmenten zusammengesetzt habe, lässt auf sieben verschiedene Schriftstücke schließen. Scheint allerdings vorwiegend belangloses Zeug zu sein. Bis auf das hier«, legte er einen von einer Klarsichthülle geschützten Zettel vor Anna und Günther Sibelius auf den Schreibtisch.
»Du Hure, lass endlich deine rot lackierten Krallen von meinem Mann!«, war auf ihm zu lesen.
»Ich bin gespannt zu erfahren, wie der Brief weitergeht, und vor allem, wer mit dem Miststück gemeint ist.«
»Geht mir genauso, Chef«, stimmte Weber zu. »Gleich nach der Besprechung mache ich mich wieder an die Arbeit. Übrigens liegt der Autopsiebericht jetzt vor. Wie wir von Dr. Severin bereits gehört haben, scheint der Täter komplett die Kontrolle über sich verloren zu haben. Dr. Severin sagt auch, dass es sehr viel Kraft kostet, einer Frau das
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