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Totenrache und zehn weitere Erzählungen

Titel: Totenrache und zehn weitere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Frank
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dann geschah das jetzt.
    „Ich...“, begann sie, aber der Rest ihres Geständnisses versiegte. Welche Worte sollten diesem Moment standhalten können? Das Wunder des Sprechens war plötzlich belanglos, so fad, dass sie fast dran erstickte. Sie winkte ab. „Nichts“, murmelte sie.
    Harold lächelte und stand auf. In seinem Kopf war ein eigenartiges Gefühl, das ihn verwirrte. Es war, als wäre er sich selbst fremd und sein Geist in den Körper eines anderen abgetaucht. Er musste an sich hinabschauen, um sich zu vergewissern, dass es nicht so war.
    Cindy stand ebenfalls auf. „Morgen, ja?“ sagte sie. Sie kaute auf den Worten herum, als besäßen sie genügend Leben, sich dem Gesprochenwerden zu widersetzen. Sie fühlte sich wie verbal abgeschlachtet. „Wir sehen uns morgen wieder, ja?“
    Harold nickte: Morgen, gleiche Zeit.

    Am nächsten Tag war der verwahrloste Kernpunkt der Line Street nicht mehr so Furcht erregend wie zuvor. Die Abzweigungen besaßen nun einen gewissen Reiz; jede für sich.
    Von weitem schon sah Harold die Frau, die ihm entgegenlächelte, nackt und respektlos wie tags zuvor. Langsam stieg er die Stufen des Hauses empor, obwohl die Erwartung ihn vorantrieb. Das Treppenhaus sah anders aus, als er es in Erinnerung hatte. Neben den altbekannten Parolen zierten nun frische Bilder die Wände. Sie begannen im Erdgeschoss und endeten oben, wo sich Cindys Wohnung befand. Waren sie unten gelungen, so sahen sie hier unbeholfen und kindisch aus: wie wenn der Künstler sich herab gearbeitet und Stufe um Stufe neue Fähigkeiten erlangt hätte. Einige zeigten die Frau unten von der Front, ebenfalls unbekleidet, aber nicht lächelnd. Andere stellten unbekannte Leute dar; ein Reigen wildfremder Männer und Frauen, viele so täuschend echt, als hätte man sie aus dem Leben gefingert und ins Gemäuer getrieben.
    Verwundert klopfte Harold an die Tür. Er erinnerte sich, dass man sie aufdrücken konnte, aber er wollte nicht eindringen. Cindy öffnete nicht. Nach einigen Minuten trat Harold doch ein. Der schwere Hauch frischer Farbe stieg ihm unangenehm in die Nase. Er sah Cindys Schatten im Dämmerlicht der Sonne durch das Wohnzimmer schreiten, wie ein verschrecktes Indiz ihrer Anwesenheit. Harold ging dem betäubenden Duft entgegen, der aus dem Raum drang.
    Cindy stand vor einer Wand, die bis gestern noch von Möbeln verdeckt gewesen war. Mit vorsichtigen Pinselstrichen verfeinerte sie den Höhepunkt ihres Schaffens. Harold erkannte jede Pore, jede noch so beiläufige Unebenheit seines Gesichts wieder. Von der Decke bis zum Boden reichte es, von einem Ende zum anderen, als handelte es sich um ein ins Uferlose vergrößertes Foto. Jede Farbnuance deckte sich mit der Wahrheit. Die hingemalten Augen waren größer als Radkappen, und die Blicke, die ihm daraus entgegenstachen, schienen ihn durchbohren zu wollen. Eine beängstigende Begegnung, um so mehr, da Harold wusste, dass das Gesicht keine Lüge war. Sein eigenes Gesicht - es war, was es war: ein Gräuel.
Endlich nahm Cindy ihn wahr, obgleich er bereits seit mehreren Minuten hinter ihr stand. Sie begrüßte ihn mit einem erfreuten Lächeln. Kein Wort kam über ihre Lippen. Ihre Augen tränten und waren gerötet von der bissigen Luft, aber das änderte nichts an ihrer Zufriedenheit. Sie legte den Pinsel nieder und näherte sich ihm. Ein Kuss, behutsam wie ein Luftzug, fuhr über Harolds Gesicht. Sie presste ihren Mund auf seine Lippen und öffnete ihn, zum Beweis, nicht zum Spiel.
    Harolds sich hineinschlängelnde Zunge ertastete ihren weichen Schlund, aber sie blieb allein; sie fand nichts anderes als die noch schmerzende, gerade verheilende Wunde, die durch einen fixen Rasiermesserschnitt im Morgengrauen herbeigeführt worden war. Worte bedeuteten nichts mehr; falls sie jemals etwas bedeutet hatten.

Totenrache
    Der Blick, den Rob Freeman durch die Windschutzscheibe warf, fiel auf dunkles, feuchtes, blattloses Geäst und, einige Meter weiter entfernt, den alten, mit Gras bewachsenen Bahndamm, der zum Tunnel hinführte. Leise klopfte der Regen einen hypnotischen Code auf das Dach. Es war kalt im Wageninnern, aber dennoch schwitzte Freeman. Er empfand tiefe Furcht vor dem, was er nun tun musste; sie zeigte sich in seinen Augen, die weit aufgerissen waren und in denen unablässig ein gehetzter Ausdruck stand, und in den fahrigen Bewegungen seiner Hände.
    „Dann lass uns jetzt beginnen“, sagte er mit rauer Stimme. Die Worte galten seiner Begleiterin, die

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