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Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Titel: Totenruhe - Bleikammer - Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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auszulöschen, wird man die Leute aus den anderen Stockwerken einfach auf unsere Stühle verteilen und den Rest mit Neueinstellungen auffüllen. Mann, Sie sagen es doch schon die ganze Zeit: Mitsugai ist ein Monstrum! Wenn Sie das schon wissen, warum begreifen Sie dann nicht, welche Konsequenzen das hat? Wenn Sie uns töten, töten Sie nur Menschen, ohne der Firma zu schaden. Das Fleisch, aus dem dieses Unternehmen besteht, wächst immer wieder nach!“
    Hara hatte sich in Rage geredet, aber ich hatte das Gefühl, dass er dennoch sehr gut wusste, was er tat. Er war aufrichtig, sprach all das aus, was ihm in den letzten Wochen durch den Kopf gegangen sein musste. Wenn man ihn so ansah, dann hatte man das Gefühl, dass er Mitsugai noch mehr hasste als der Mann mit der Bombe.
    Auf den Mienen meiner Mitarbeiter malten sich komplizierte Emotionen ab. Was Hara eben ausgesprochen hatte, hatte in dieser Deutlichkeit noch niemand formuliert, zumindest nicht in der Öffentlichkeit des Arbeitsplatzes. Es war verrückt: Mir schien, dass uns allen in diesem Moment die Gefahr bewusst wurde, in der wir uns die ganze Zeit über schon befanden – nicht nur die Bedrohung durch den Fremden mit der Höllenmaschine, sondern auch die durch die Firma.
    Doch der Mann konnte mit Haras Worten nichts anfangen. Wir alle verstanden ihn, aber er konnte es nicht, da er nicht hier arbeitete. Die Züge des Uniformierten verzerrten sich. Er musste denken, Hara würde ihn mit seinem Gerede zum Narren halten. Und das machte ihn wütend.
    Er fuchtelte mit der Bombe herum. „Du hältst dich wohl für sehr schlau“, warf er Hara entgegen. „Ich weiß nicht, was eure Geschäftsführer umbringt. Kann sein, dass ihr eine Krankheit unter euch habt. Vielleicht solltet ihr weniger arbeiten und euch öfters mal waschen.“ Er redete jetzt wirres Zeug, hatte vollkommen den Halt verloren. An einer Diskussion war er von Anfang an nicht interessiert gewesen. Er starrte auf das Gerät in seinen Händen, kramte in dem Kabelgewirr nach einem Schalter oder irgendetwas. Ich bildete mir ein, etwas klicken zu hören. Hatte er einen Mechanismus aktiviert?
    Mir gefiel nicht, wie sich die Situation entwickelte. Wenn nicht ein Wunder geschah, konnten die nächsten Sekunden unsere letzten sein. Es war gruselig, wie seine Blicke ständig zwischen der Bombe und uns hin und her pendelten, als sei auf dem Gerät eine Uhr zu sehen, und er wolle auf keinen Fall den Punkt versäumen, an dem sie lauter Nullen zeigte. Die Fahrstuhltür stand noch immer offen, er konnte jederzeit die Flucht ergreifen.
    Eine Frau war plötzlich aufgestanden und auf ihn zugegangen. Es war Emi. Sie nestelte an ihrer Bluse. Himmel, sie würde doch nicht etwa anfangen wollen, sich vor ihm zu entblättern! Andererseits war es vielleicht keine ganz schlechte Idee. Wenn Haras Argumentationen nichts fruchteten, musste man schnellstens etwas anderes versuchen.
    „Sie wollen kein Leben auslöschen“, sagte Emi beschwörend. „Sie wollen Ihrem Ärger Luft machen, aber Sie wollen nicht, dass unser Fleisch zerfetzt wird und unser Blut an den Wänden klebt.“ Mit diesen Worten riss sie sich die Bluse auf.
    Dutzende von Menschen hielten den Atem an.
    Okay, ich begriff es jetzt. Sie hatte nicht vor, ihn zu verführen, sie wollte ihm Fleisch zeigen, Leben, unschuldiges, schönes, weibliches Leben. Sie appellierte nicht an seine sexuellen Gefühle, sondern an seinen Beschützerinstinkt. Er sollte sich vorstellen, wie es sein würde, wenn dieser Körper in blutige Fetzen gerissen wurde. Gebannt verfolgten wir, wie sie die Schuhe abstreifte, den Rock …
    Doch er ließ es nicht zu. Er stellte seine Bombe auf einem Tisch ab, ging auf Emi los und stieß sie von sich. Es war kein besonders heftiger Schlag, aber sie hatte ihm nichts entgegenzusetzen, verlor das Gleichgewicht, kippte nach hinten, ging zu Boden. Ihr Kopf prallte mit einem deutlich hörbaren Krachen gegen einen der Schreibtische. Mir drehte sich dabei der Magen um.
    Ich sah, wie er zum Fahrstuhl hetzte und den Kleber von der Lichtschranke entfernte. Jetzt sprang ich auf, jagte los, nicht in seine Richtung, sondern dorthin, wo die Höllenmaschine lag. „Aus dem Fenster damit!“, rief jemand, aber ich ignorierte den Vorschlag. Es musste einen besseren Weg geben.
    Fieberhaft betrachtete ich das Gerät, nahm es in die Hand, untersuchte es. Eine winzige dreistellige Anzeige zählte von 097 rückwärts. Mit zitternden Fingern ordnete ich die Kabelstränge,

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