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Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Titel: Totenruhe - Bleikammer - Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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niemandem verraten. Also wäre sie die ideale Besetzung. Anstatt andere Leute vor dem Schrecklichen zu beschützen, das auf sie wartete, wenn sie Geschäftsführer wurden, konnte sie sich doch besser selbst beschützen. Dafür musste sie auch mit niemandem schlafen.
    Natürlich wusste ich sehr gut, warum sie den Posten nicht bekam. Sie war erst 24 Jahre alt. Und vor allen Dingen war sie eine Frau. Man würde sie frühestens dann in Erwägung ziehen, wenn einige Tausend von meiner Sorte das Angebot ausgeschlagen hatten.
    Meiner Frau erzählte ich zunächst nichts von dem Beförderungsangebot. Ich wollte sie nicht in das Chaos hineinziehen, das in meinem Inneren herrschte. Sie hatte anderweitig Sorgen genug.
    An einem dieser Abende hatte ich ein Gespräch mit Hara. Er beglückwünschte mich zu der Entscheidung, die Beförderung auszuschlagen. Ich verriet ihm, dass man meine Ablehnung nicht ernst nahm und mir noch Bedenkzeit aufgezwungen hatte. „Denken Sie tatsächlich, dass Mitusgai ein Monster ist, das uns frisst?“, fragte ich ihn. Ich wollte mehr über seine Theorien wissen.
    „Denken Sie es nicht?“, drückte er sich vor der Antwort.
    „Verlieren wir nicht ein wenig den Draht zu Realität, wenn wir in solchen Bahnen denken?“, sagte ich. „Es ist eine Firma, sonst nichts.“
    „Da bin ich nicht mehr sicher.“
    „Was sollte Mitsugai sonst sein?“
    „Ich weiß nicht. Das Büro im sechzehnten Stock ist groß, aber ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass es nur einen Teil des Stockwerks einnimmt? Da könnte sich noch alles Mögliche verbergen.“
    „Eine Art … Monstrum?“ Ich musste an meine Gummifigur denken. Und an die Bleikammer, die Emi erwähnt hatte. In diesem Moment war ich kurz davor, Hara das Geheimnis anzuvertrauen. Emi war noch immer krank, und mit etwas Glück würde sie es nie erfahren, wenn ich mich verplapperte. Eignete sich eine Bleikammer, um ein Ungeheuer zu verstecken, einen Saurier, wie die japanische Kultfigur Gojira einer war?
    „Wenn da oben ein Ungeheuer lauert, warum frisst es unsere Geschäftsführer dann nicht einfach mit Haut und Haaren auf? Warum sterben sie an Krankheiten wie Krebs?“
    „Wer sagt, dass sie wirklich an Krebs sterben?“, meinte Hara mit glühenden Wangen. „Haben Sie je eine der Leichen gesehen? Wir wissen nur, was die Ärzte uns erzählen. Was ist, wenn sie lügen?“
    „Verzeihen Sie, aber Mori und sein Vorgänger sahen krank aus, ehe sie starben. Nein, ich habe ihre Leichen nicht gesehen, aber ich bin sicher, sie wurden nicht gefressen.“
    „Was bedeuten die drei Muscheln in unserem Firmenlogo?“, wechselte Hara das Thema. „Woher kommt der Name?“
    „Das müssen Sie die Eigentümer fragen.“
    „Die beantworten die Frage aber nur mit Ausflüchten.“
    „Also … wofür stehen die Muscheln Ihrer Meinung nach?“
    „Für den Tod, Okamoto, für den Tod.“
    Von diesem Punkt an entwickelte sich unser Gespräch nicht mehr nennenswert weiter. Mir leuchtete nicht ein, was Muscheln mit dem Tod zu tun haben sollten, und er konnte es mir nicht erklären.
    Der Tag begann erst für mich. Es gab unvorstellbar viel Arbeit zu erledigen, und manchmal kam es mir so vor, als würde ich absichtlich damit zugeschüttet, damit ich den Wunsch verspürte, aus der Tretmühle herauszukommen, in die mich der Posten des Abteilungsleiters gebracht hatte.
    Tatsächlich fing ich an, über dieses geräumige, leere, stille Büro im 16. Stock nachzudenken. Als ich Mori dort besucht hatte, war es mir unheimlich erschienen, fast wie ein Grab, ein Ort der Stagnation. Andererseits – in meiner Abteilung ging es drunter und drüber. Irgendwann würde mein Körper mir die Rechnung präsentieren, wenn ich weiter so schuftete: Stress, Überarbeitung, zu wenig Schlaf. Nun wollte mir jemand das dreifache Gehalt dafür zahlen, dass ich den ganzen Tag fast nichts tat.
    Und ich lehnte ab?
    Warum eigentlich? Weil ich mich davor fürchtete, dass das schuppige Ungeheuer von Mitsugai aus der Bleikammer kam und mich verspeiste?
    An diesem Abend erzählte ich meiner Frau von der Beförderung. Ich hatte immer noch vor, das Angebot abzulehnen, aber ich wollte wenigstens ihre Zustimmung dazu haben.
    Sie war außer sich. Sie schrie mich sogar an, wie ich auf die Idee kommen könnte, so etwas auszuschlagen. „Du lässt dich von deiner Angst auffressen!“, hielt sie mir vor. „Ich dachte, du wärst stark genug, um Aberglaube von Realität zu unterscheiden. Es ist nur deine Angst, die dir den

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