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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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installiere ich Überwachungskameras in der Redaktion. Jetzt ist Schluss mit lustig, Kinder.« Ethan lief dunkelrot an und schüttelte leicht den Kopf.
    »John, wer hat dir von dem Problem berichtet?«, fragte ich.
    »Diese Propellerköpfe aus der Computerabteilung«, antwortete er wie aus der Pistole geschossen. »Ich begreife nicht einmal die Hälfte von dem, was sie mir erzählen, also ermuntert sie bloß nicht, mir jemals wieder irgendwas zu erklären, verstanden?«
    Am nächsten Morgen sah ich zu, wie Ethan sich den Weg zu seinem Schreibtisch bahnte. Er setzte sich und zog eine Schublade auf. Deren gesamter Inhalt fiel mit tosendem Geklapper zu Boden. Die ganze Redaktion lachte.
    Er sagte nichts, sondern starrte nur eine Weile auf das Chaos hinab, ehe er sich auf den Boden kniete und begann, die Sachen wieder aufzusammeln.
    Ich stand auf, ging zu ihm hinüber und half ihm.
    »Bitte nicht«, flüsterte er.
    »Das ist ein alter Trick«, sagte ich und gab vor, ihn nicht gehört zu haben. »Zieh bloß keine von den anderen auf, die sind garantiert auch umgekehrt eingeschoben. Man nimmt ein Stück dünne Pappe und hält damit den Inhalt drinnen, während man die Schublade umdreht und wieder hineinschiebt. In aller Herrgottsfrühe sehr schwer zu erkennen.«
    Irgendwann im Laufe meiner Erklärung erstarrte er. Mark Baker und Stuart Angert kamen herüber und schoben die anderen Schubladen wieder richtig herum ein, während ich weiter Büroklammern, Bleistifte, Münzen und Post-It-Zettel aufklaubte. In der Redaktion herrschte Stille.
    John wird bei nichts so hellhörig wie bei einem zu niedrigen Geräuschpegel in der Redaktion. Er trat in seine Tür, sah zu
uns herüber, ehe er sich an den Rest des Raums wandte und brüllte: »Wofür zum Teufel werdet ihr eigentlich bezahlt?«
    Damit war der Bann gebrochen, der die anderen hatte erstarren lassen, und sie machten sich wieder an die Arbeit.
    Ethan bedankte sich, und Stuart und Mark kehrten an ihre Schreibtische zurück. Ansonsten hatte sich Ethan weder geregt noch geäußert.
    »Gehen wir doch kurz raus«, schlug ich vor.
    »Ich kann nicht.«
    »Sicher kannst du. Wir treffen uns in fünf Minuten unten. Vergiss deinen Schirm nicht.«
    »Ich habe keinen.«
    »Dann teilen wir uns meinen.«
    Ich stand auf, schnappte mir Tasche, Jacke und Schirm und ging hinaus.
    Er kam in die Halle, als ich schon zu fürchten begann, ich müsse womöglich noch einmal in die Redaktion hinaufsteigen und ihn an den Ohren herauszerren.
    Ich marschierte los, und um nicht nass zu werden, musste er Schritt halten. »Wohin gehen wir?«
    »Lucky Dragon Burgers. Da gibt’s ein Super-Frühstück.«
    »Ich hab echt keinen Hunger.«
    »Ich schon.«
    Er sagte kein Wort mehr, bis wir in einer Nische Platz genommen hatten. Ich fragte ihn, ob er Vegetarier sei. »Nein.«
    Ich bestellte zwei Lucky-Dragon-Omeletts und Kaffee.
    Er starrte auf die Tischplatte.
    »Ich versuche gerade ein Akronym aufzuschlüsseln, von dem mir eine Freundin erzählt hat«, sagte ich. »Vielleicht kannst du mir weiterhelfen. Es war das Wort H. A. L. T. - das H stand für hungrig, das A für allein und das T für traurig. Wofür war das L noch mal?«
    »Lustlos«, sagte er und blickte auf. »Deine Freundin war bei den Anonymen Alkoholikern?«

    »Ja.«
    »Und wie geht’s ihr?«
    »Ihr geht’s gut. Ich kenne allerdings andere, denen es nicht so gut geht. Aber sie denkt immer daran, auf kleine Dinge zu achten, wie zum Beispiel darauf, dass sie nicht allzu hungrig, allein, lustlos oder traurig wird. Wie so vieles bei den AA wäre das auch ein guter Rat für alle anderen.«
    »Bist du …«
    »Bei den AA? Nein.«
    »Offen gestanden bin ich froh, dass ich Gelegenheit habe, mit dir zu sprechen. Ich muss mich entschuldigen.«
    »Arbeitest du gerade deine zwölf Schritte durch?«
    »Nein. Ja, schon, aber darum geht es nicht. An dem Schritt bin ich noch gar nicht angelangt. Ich - also, das geht von mir aus. Es ist mir einfach ein Bedürfnis.«
    Die lange Entschuldigungsrede, die nun folgte, war mir zwar kein Bedürfnis, aber ich war ziemlich sicher, dass er sie sich von der Seele reden musste. Er sprach langsam und stockend, in einer Weise, die so gar nicht mehr an den geschliffenen jungen Manipulator erinnerte, der sich in den letzten Monaten derart oft in Szene gesetzt hatte. Die Omeletts kamen genau in dem Moment, als er bei dem Teil anlangte, in dem er gestand, dass ihm klar war, wie sehr er alle Mitarbeiter der Zeitung in Verlegenheit

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