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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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verpflichtet ist. Zweitens behauptet niemand außer ein paar von Mitch Yeagers engsten Getreuen, das Kind gesehen zu haben, ehe Max entführt worden ist. Seltsamerweise haben sämtliche Bediensteten der Yeagers einen bezahlten Urlaub von zwei Monaten erhalten - etwas, was Yeager ihnen nie zuvor gewährt hatte. Yeager hat behauptet, er wolle damit seiner neuen Familie das gegenseitige Kennenlernen erleichtern, aber Gerüchten zufolge war es mit der Eingewöhnung noch nicht besonders weit her, als die Dienstboten zurückgekehrt sind.«
    »Auch bei leiblichen Eltern kann es länger als zwei Monate dauern, bis sie sich an ein neues Kind im Haus gewöhnt haben«, gab Lillian zu bedenken.
    »Ja«, stimmte Auburn ihr zu. »Aber Mrs. Yeager, die während dieser zwei Monate angeblich das Kind versorgt hatte, wusste auf einmal nicht mehr, wie sie mit dem Kind umgehen sollte, und im Januar wurde ein Kindermädchen eingestellt.«
    »Entschuldige bitte, ich rede nicht gern schlecht von den Toten, erst recht nicht von jemandem, mit dem ich einmal befreundet war, aber ehrlich gesagt war Estelle eine der schlimmsten Säuferinnen der ganzen Stadt. Vielleicht hat
Mitch schließlich einsehen müssen, dass eine Trinkerin nicht die alleinige Verantwortung für seinen Sohn tragen kann.«
    »Da trügt dich aber dein Erinnerungsvermögen ein wenig, glaube ich«, wandte Auburn ein. »Wenn du zurückdenkst, fällt dir bestimmt wieder ein, dass Estelle erst ungefähr zu der Zeit zu trinken angefangen hat, als Kyle in die Vorschule gekommen ist.«
    Lillian zuckte die Achseln. »Das spielt doch jetzt keine Rolle mehr.«
    »Hast du Kyle Yeager schon mal gesehen?«, fragte Warren.
    »Nein, ich kenne den Jungen nicht.«
    »Kein Wunder«, sagte Auburn. »Mitch hat seinen Adoptivsohn nie in die hiesige Gesellschaft eingeführt. Kyle wurde im Alter von neun Jahren ins Internat gesteckt, und sowie er seinen Schulabschluss hatte, hat er ihn nach New Hampshire geschickt - aufs Dartmouth College. Man hat ihn nicht mal in den Ferien nach Hause geholt. Ich kenne lediglich ein paar Leute, die ihn auf Estelles Beerdigung kurz gesehen haben, aber er war ja erst elf, als sie gestorben ist. Warum hat Mitch ihn wohl versteckt?«
    »Mitch hat kurz darauf eine neue Familie gegründet«, gab Lillian zu bedenken. »Es gelingt nicht jedem, seine neue Frau mit den Kindern aus erster Ehe in Einklang zu bringen.«
    »Mitch und sein Sohn sind mittlerweile schon seit Jahren zerstritten, Lillian.«
    »Wo hast du denn gesteckt, Auburn? Das nennt man den Generationenkonflikt. ›Trau keinem über dreißig‹ - schon vergessen? Sogar das ist mittlerweile ein bisschen veraltet, fürchte ich. Jetzt gibt es die ›Alliance for Survival‹, die den jungen Leuten rät, ›Autoritäten infrage zu stellen‹.«
    »Vielleicht ist es nur das. Vielleicht sind es nur die üblichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Eltern und Kindern. Aber wenn du Kyle siehst, verstehst du vielleicht besser, warum Warren, Zeke und ich anders denken.«

    »Sieht er Todd wirklich so ähnlich?«
    »Nein. Und er sieht auch nicht genau wie eine männliche Version von Katy aus. Aber er hat etwas von allen beiden, würde ich sagen.«
    »Auburn«, sagte sie, und ihre Stimme klang schärfer als zuvor, »was du als Beweis angeführt hast, reicht wohl kaum aus, um die Vorwürfe zu rechtfertigen, die sich aus dem ergeben, was Warren … was Warren mutmaßt. Du willst also behaupten, dass Mitch den Mord an dem Kindermädchen arrangiert hat? Dass er meinen Enkel entführt hat? Das ist doch Unsinn. Warum sollte er so etwas tun? Er hat genug Geld, um so viele Kinder zu adoptieren, wie er will. Warum sollte er einen derartigen Aufwand betreiben?«
    »Bitte verzeih mir die Frage, Lillian, aber stimmt es, dass du Mitch einmal sehr nahe gestanden hast?«
    »Ja«, antwortete sie, ohne zu zögern. »Soll ich dir jetzt auch ein paar deiner jugendlichen Torheiten aufzählen, Auburn?«
    Er hob die Hand in der Geste eines Fechters, der einen Treffer eingesteht. »Das ist nicht nötig - und wir haben ja auch nicht den ganzen Tag Zeit.«
    »Weiß Gott nicht. Also …«
    »Entschuldige, Lillian. Ich spreche deine Verbindung zu Mitch Yeager nur an, weil ich weiß, dass er nie etwas verzeiht, was er als Kränkung oder Beleidigung empfindet.«
    »Mitchs Hang zur Unversöhnlichkeit ist mir durchaus bewusst.«
    Einen Moment lang glaubte Warren, einen weiteren kleinen Bruch in ihrer gelassenen Haltung zu erkennen - als hätte sie sich

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