Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
Herkunft verdächtig sei. Man habe Nachforschungen angestellt und herausgefunden, dass es sich um die Tochter von Edith Jonas handele. Die Mutter selbst sei zwar – wie angeordnet – ins Ausland gegangen, habe aber offenbar ihre Tochter in Deutschland gelassen.
Die Angelegenheit war für den Abteilungsleiter nicht ungefährlich. Seine kurze Affäre mit Edith Jonas Anfang der zwanziger Jahre war bislang unter Verschluss geblieben, und er hatte gehofft, dass mit ihrer Emigration die Sache endgültig vom Tisch war. Sollte ausgerechnet jetzt publik werden, dass er mit einer Jüdin eine Tochter gezeugt hatte, wäre das eine Katastrophe ersten Ranges und würde seinen Neidern auf fatale Weise in die Hände spielen. Das Reichssicherheitshauptamt war eine Schlangengrube.
Nach kurzer Beratung mit dem Gestapo-Bruder wurde beschlossen, die junge Frau möglichst geräuschlos aus dem Verkehr zu ziehen. Die Gestapo wusste, dass sie bei einem Bauern lebte, der politisch inopportune Ansichten vertrat. Auch Frieda Jonas verfüge über ein loses Mundwerk und habe sich despektierlich über Führer und Partei geäußert. Man kam überein, die jüdische Herkunft der jungen Frau möglichst außen vor zu lassen und sie wegen subversiver Tätigkeit in Schutzhaft zu nehmen. Sie sollte in ein Konzentrationslager überführt werden.
Ende August 1939 erschienen um halb fünf Uhr morgens zwei Beamte der Gestapo auf dem Haltmayerhof, verhafteten Frieda Jonas und überstellten sie in das Frauenlager Ravensbrück.
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Herbst 1992
E s hatte zu regnen aufgehört, und mildere Luft kam von Süden über die Berge, als Wallner zu Fuß nach Hause ging. Er hatte den Wagen an der Polizeistation stehen lassen, denn er wollte nachdenken. Über das, was Elisabeth Muhrtaler erzählt hatte. Dass Albert Kieling fortgejagt worden war wegen einer Vergewaltigung, die er nicht begangen hatte. Dass sein Zorn auf Frieda Jonas groß gewesen war. Und dass er es war – und da hatte sich die alte Frau sehr klar und detailreich in ihrer Erinnerung gezeigt –, der am zweiten Mai 1945 in SS-Uniform in Dürnbach auftauchte und nach der flüchtigen Frieda Jonas suchen ließ. War man mit Sebastian Haltmayer wirklich auf der richtigen Spur?
Feuchtes Laub lag auf den spärlich beleuchteten Straßen und trocknete im Föhn. Etwa hundert Meter waren es noch bis zu seinen Großeltern, als Wallner am Haus der Familie Höbermann vorbeikam. Mit den Höbermann-Zwillingen hatte er schon im Sandkasten gespielt, und sie waren gemeinsam zur Volksschule gegangen. Resi Höbermann, die Mutter der Zwillinge, war zeitlebens Hausfrau gewesen und sah mit ihren fünfzig Jahren recht attraktiv aus. Aus dem Haus hörte Wallner ziemlich eindeutige Geräusche, die darauf hindeuteten, dass die Höbermanns noch immer ein aktives Intimleben praktizierten. Es war freilich im ganzen Haus kein Licht zu sehen. Wallner fragte sich, ob die Ursache dafür Prüderie war oder die Freude an der Heimlichkeit. Die Geräusche, die an sein Ohr drangen, sprachen eher gegen die Prüderievariante.
Mit einem Lächeln ging Wallner weiter. Das Lächeln wich ihm allerdings schlagartig aus dem Gesicht, als Resi Höbermann in Extase »Oh Manfred« stöhnte. Herr Höbermann hieß nämlich nicht Manfred, sondern Peter. Sollte es ein geschmackloser Zufall sein, dass Resi Höbermann beim Fremdgehen ausgerechnet den Vornamen seines Großvaters in die Novembernacht hinausröhrte?
Ein halbe Stunde später kam Manfred gut gelaunt und Geh aus, mein Herz, und suche Freud vor sich hin summend aus dem Höbermannschen Anwesen und schlenderte mit seiner Aktentasche die Straße entlang.
»Hallo«, sagte Wallner, der plötzlich hinter seinem Großvater auftauchte.
Manfred entfuhr ein kurzer Schrei, und er stolperte fast vor Schreck.
»Entschuldige«, sagte Wallner. »Was bist denn so schreckhaft?«
»Ja wennst dich mitten in der Nacht von hinten anschleichst! Ich hätt fast an Herzkaschper kriegt.«
»Tut mir leid. Aber da hat wohl auch das schlechte Gewissen mitgespielt, was?«
Manfred sah seinen Neffen konsterniert an. »Schlechtes Gewissen? Wie … wieso sollt ich a schlechtes Gewissen haben?«
»Ich meine nur, weil es schon so spät ist und du bist immer noch nicht zu Hause.«
»Ach so!« Manfred fiel offenbar ein recht großer Felsbrocken vom Herzen. »Ich hab noch Überstunden machen müssen. Mir ersticken ja in Aufträgen.«
»Ich hoffe, es war nicht zu unangenehm bei deinen Überstunden.«
»Ach, ein, zwei
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