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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
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fast am Ende einer Häuserreihe lag, hatte es wenigstens den Vorteil, dass man von hier aus auf die fernen Berge blicken konnte. Im Gegensatz zu den Nachbargrundstücken waren Eingangsweg und der kleine Vorgarten sauber und gepflegt, auch die Haustür war erst kürzlich frisch gestrichen worden. Eine kleine Oase des Stolzes in einer Wüste von Apathie.
    Sie klingelte. Niemand öffnete, obwohl sie von drinnen Geräusche zu hören vermeinte. Sie versuchte es noch einmal, aber jetzt schlug ihr Stille entgegen. Als sie durch den Briefschlitz rufen wollte, stellte sie fest, dass er zugeschraubt war. Verärgert darüber, dass sie erneut hier herausfahren musste, wollte sie schon kehrtmachen, als sie sah, wie sich im Obergeschoss einer der schweren Vorhänge bewegte. Eine verschleierte Frau wich schnell wieder zurück. Jenny ging erneut zur Haustür und rief: »Sind Sie es, Mrs. Ali? Mein Name ist Jenny Cooper. Ich bin Coroner. Ich möchte mit Ihrem Ehemann sprechen. Es gibt keine Probleme mit ihm, es ist nur eine Routinebefragung.«
    Sie wartete auf eine Antwort und hörte zögerliche Schritte eine Treppe herunterkommen.
    »Was wollen Sie?«, fragte eine ängstliche Frauenstimme hinter der Tür.
    »Ich untersuche den Fall eines jungen Mannes, der 2002 verschwunden ist. Sein Name ist Nazim Jamal. Ich habe gehört, dass Mr. Ali ihn gekannt hat.«
    »Er ist nicht hier. Er ist noch bei der Arbeit.« Ihre Stimme klang jung. Ihr Akzent war eine Mischung aus Pakistani und Nordbritisch.
    »Wann kommt er heim?«
    »Das weiß ich nicht. Er ist bei einer Versammlung.«
    »Sind Sie seine Ehefrau?« Keine Antwort. Jenny nahm eine Visitenkarte aus ihrem Portemonnaie und schob sie unter der Tür hindurch. »Hier, das ist meine Karte. Darauf können Sie sehen, wer ich bin. Ich bin keine Polizistin, aber Sie sind von Rechts wegen verpflichtet, mich bei meinen Ermittlungen zu unterstützen. Ich möchte nur wissen, wo ich Ihren Mann finden kann. Ich würde gerne mit ihm sprechen.«
    Sie spürte die Panik und die Unentschlossenheit der Frau. Schließlich wurde die Karte zurückgeschoben. Auf ihr stand eine Telefonnummer.
    Das Flüchtlingszentrum war in einem zweistöckigen Betongebäude inmitten der Siedlung untergebracht worden. Früher war es ein Pub gewesen. Große Buchstaben waren von der Fassade abgeschraubt worden und hatten ihre Spuren in hellerem Grau hinterlassen: The Chartist’s Arms. Durch die halb geschlossenen Fensterläden eines Erdgeschossfensters konnte sie sehen, wie ein spindeldürrer Indopakistaner mit einer Frau und zwei kleinen Kindern im Schlepptau auf eine müde weiße Frau wild gestikulierend einredete. Sie schien taub für sein Gezeter zu sein und konzentrierte sich stattdessen auf die Papiere, die er ihr in einem großen Umschlag gegeben hatte. An den Wänden standen alte Aktenschränke, und vor den Fenstern waren Gitter angebracht, um die wenigen klapprigen Computer und ein ältliches Kopiergerät zu schützen.
    Anwar Ali kam selbst an die Tür. Jenny schätzte ihn auf Anfang dreißig, auch wenn Vollbart, Anzug und Krawatte ihn älter aussehen ließen. Er begrüßte sie knapp und führte sie ins obere Stockwerk, in ein kleines, aufgeräumtes Büro. Auf der anderen Seite des schmalen Flurs befand sich ein Klassenraum. Die Schüler eines Sprachkurses rezitierten gerade im Chor: »Pleased-to-meet-you.« In einem Regal standen ordentlich sortiert Bücher, sowohl auf Englisch als auch in einer Sprache, die Jenny für Urdu hielt.
    »Was kann ich für Sie tun, Mrs. Cooper?«, fragte Ali. Er kaschierte seinen Ärger über ihre Anwesenheit nur mühsam mit einer oberflächlichen Höflichkeit.
    »Sie wurden mir als jemand genannt, der mit Nazim Jamal und Rafi Hassan zu tun hatte, bevor die beiden verschwanden.«
    »Von wem?« Er sprach klar und deutlich und trat auf wie ein Mann mit einem scharfen und analytischen Verstand. Er gehörte zu der Sorte Mensch, die Jenny Angst einjagte. Und Ali schien gereizt zu sein. Sie musste sich vorsehen.
    »Von der Polizei. Angeblich sind Sie mit Jamal und Hassan in den Monaten zuvor in die Al-Rahma-Moschee gegangen und haben in Ihrer Wohnung in der Marlowes Road eine halaqah abgehalten. Ich hoffe, ich habe das richtig ausgesprochen.«
    »Ihre Aussprache ist gut. Beschäftigt sich die Polizei immer noch mit der Geschichte?«
    »Damals hat man Sie als radikal eingeschätzt. Wie die Polizei das heute sieht, weiß ich nicht.«
    »Erfreulicherweise haben wir wenig miteinander zu tun. Die kurze

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