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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
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bevor Sie Ihre Aussage gemacht haben.«
    Er verzog das Gesicht zu einem Lächeln, das sowohl jungenhaft als auch bedrohlich wirkte. Sie versuchte sich seinen blauen Augen zu entziehen, die direkt in ihr Innerstes zu sehen schienen, indem sie auf seine Haare starrte. Sie saßen im Nacken auf und mussten eigentlich geschnitten werden. Unter dem hochgeklappten Mantelkragen trug er ein Seidentuch mit dunkelgrünem Paisleymuster.
    »Ich glaube nicht, dass Sie es sich leisten können, nicht mit mir zu reden.«
    »Hören Sie, das ist wirklich nicht …«
    »Ich wäre schon vorher zu Ihnen gekommen, aber Sie waren schneller als erwartet. Leider stecke ich bis zum Hals ineinem Prozess.« Er holte eine zerknautschte Marlboro-Packung aus der Tasche und hielt sie ihr hin. »Hier, zum Aufwärmen.«
    »Sie kennen doch die Regeln …«
    »Scheiß drauf. Außerdem dachte ich, dass die Dinge hier anders laufen als bei einem Strafprozess. Sie sind der Coroner. Sie dürfen reden, mit wem Sie wollen.«
    Er klopfte eine Zigarette heraus, entzündete in der gewölbten Hand ein Streichholz und lehnte sich an die Wand. Langsam sog er den Rauch ein und stieß ihn ebenso langsam wieder aus. Der leichte Wind wehte ihn von seinen Lippen fort.
    »Hat Mrs. Jamal Ihnen erzählt, dass ich beide Familien vier Monate lang vertreten habe?«
    »Ich wünschte, Sie würden sich Ihre Erklärungen für den Zeugenstand aufheben«, sagte Jenny verärgert.
    Sie stand auf und warf den halben Schokoriegel in einen rostigen Drahtpapierkorb. Die Feuchtigkeit der Bank war ungemütlich.
    »Nein, das wünschen Sie sich nicht wirklich. Das würde die Sache nur vermasseln und diese Bastarde für Sie in unerreichbare Ferne rücken. Sie würden die Wahrheit nie erfahren.« Er zog an seiner Zigarette und blickte sie träge an. »Aber vielleicht ist die Wahrheit Ihnen auch egal?«
    »Von welchen Bastarden sprechen wir genau?«
    »Keine Ahnung. Man hat mich kaltgestellt, bevor ich es herausfinden konnte.« Er lächelte unbestimmt. »Möchten Sie die Geschichte hören?«
    »Wie wär’s, wenn Sie sie aufschreiben und meiner Assistentin geben. Das ist das übliche Prozedere.«
    »Vergessen Sie’s. Der Fall hat mich meine Ehe und eine vielversprechende Karriere gekostet.« Er schlenderte über die von Unkraut gesäumten Betonplatten zu dem Drahtzaun, hinter dem das Feld begann. »Sind das Möwen? Wir sind doch meilenweit vom verfluchten Meer entfernt?«
    »Die Mündung ist schon fast das Meer.«
    »Wohl wahr. Schauen Sie sich das an, die schubsen die anderen einfach beiseite.« Er starrte auf das Feld. »Und dem armen Mädchen haben die Viecher die Eingeweide rausgehackt, was? Ich habe es in der Zeitung gelesen.«
    »Dann muss es ja stimmen.«
    »Ich habe mich gar nicht getraut, an ihrem Körper so weit runterzuschauen … Schon was gehört, wo die Leiche abgeblieben ist?«
    »Bislang nicht.«
    »Wahnsinn. Wer soll damit etwas anfangen können? Man sieht das ja immer im Fernsehen – die bösen Buben buddeln ein Loch im Wald. Aber haben Sie je versucht, in der Nähe von Bäumen einen Spaten in den Boden zu stechen? Nur Wurzeln. Da könnte man auch in Beton graben.« Er zog heftig an seiner Zigarette, bevor er die Kippe ins Feld schnippte. »Es ist ja nicht so, dass ich keine Schurken kennen würde, aber so etwas ist mir noch nicht untergekommen … direkt aus der Leichenhalle.«
    Er blieb stehen und beobachtete, wie der Traktor am Ende der Saatreihe anhielt, seinen Pflug anhob und wendete. Plötzlich drehte sich der Wind und trug das Geschrei der Vögel zu ihnen herüber: eine raue, lebendige und seltsam schöne Kakophonie.
    McAvoy lächelte. »›Ich würde den Himmel erklimmen, ich würde die Berge umpflügen, die ganze Nacht würde ich auf den Knien liegen und beten, um dein Leiden zu heilen … My Dark Rosaleen.‹ Wie komme ich nur jetzt darauf?« Amüsiert schüttelte er den Kopf. »Mein Vater war Lehrer. Was der mir für ein Zeug eingetrichtert hat …« Er drehte sich um, ging ein paar Schritte auf Jenny zu und blieb stehen. »Ich habe mir schon gedacht, dass Sie nicht mit mir sprechen wollen, Mrs. Cooper.«
    »Mrs. Jamal hat gesagt, Sie waren im Gefängnis.«
    »Ich hatte das Vergnügen.«
    »Was hat man Ihnen vorgeworfen?«
    »Dass ich ein Störenfried sei. In meiner Akte steht, ich hätte die Rechtsfindung behindert. Die Bullen haben mir etwas angehängt. Sie haben mir eine verwanzte Undercoveragentin geschickt, haben ein Gespräch zusammengeschnitten und es so

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