Totenstätte
eins der ungelösten Rätsel der Wissenschaft.«
»Ich habe mal gehört, um noch eins übrig zu haben, falls sie vom Krokodil gebissen werden.« Sie nahm ihren Block aus der Tasche. »Können wir loslegen?«
»Ich mache keine Aussage.«
»Okay, nennen wir es Notizen.« Sie zog die Kappe von ihrem Füller. »Es war Ihre Idee, falls Sie sich erinnern.«
Er schnaubte, als würde er es lieber vergessen haben. »Fangen wir mit Robert Donovan an. Die Polizei war ihm von April 2002 an wegen einer Betrugsgeschichte auf den Fersen. Damals war er Steuerberater. Er hat Steuerschecks von Klienten benutzt, um Wohneigentum zu kaufen, und hat das Finanzamt dann von den Dividenden bezahlt. Da der Markt boomte, funktionierte das wunderbar, bis er sich dann irgendwann in sechs Bauprojekte eingekauft hat, die nie realisiert wurden. Einer meiner Partner hat einen der Angeklagten verteidigt, einen Hypothekenmakler. Im August sollte die Verhandlung sein. Als Nächstes erfuhr mein Kollege, dass Donovan als Zeuge der Anklage in einem Prozess gegen vier seiner steuerflüchtigen Klienten auftrat und außerdem zu den beiden vermissten Jungen eine Aussage gemacht hatte. Sämtliche Anklagepunkte gegen ihn und den Makler wurden fallen gelassen.«
»Er hat sich also mit einem cleveren Deal aus der Affäre gezogen. Wie passt es ins Bild, dass er die Jungen identifiziert hat?«
»Haben Sie eine Vorstellung, wie faul Bullen sind? Die würden alles tun, um sich einen Gang zu ersparen.«
»Donovan war einfach im richtigen Gemütszustand, um sich zu einer Aussage überreden zu lassen?«
»Mit aller Wahrscheinlichkeit. Die Polizei wollte die Jungen unbedingt loswerden. Mit einer Aussage, die die beiden nach London verfrachtete, waren sie sofort anderer Leute Problem.«
»Was ist mit den Geheimdiensten?«
»Die Polizei hasst die Geheimdienste. Die mischen sich in ihre Arbeit ein. Stellen Forderungen.«
»Und Sie denken wirklich, die Polizei würde eine Falschaussage weiterleiten?«
McAvoy grinste. »Wollen Sie mir weismachen, dass Sie so naiv sind? Ich dachte, Sie hätten als Rechtsanwältin gearbeitet und wüssten, wie das läuft.«
»Ich hatte es vorwiegend mit Sorgerechtsfällen zu tun.«
»Dann gibt es nichts, was Sie über die miese Seite der menschlichen Natur nicht kennen. Aber speziell über die Bullen sollten Sie wissen, Mrs. Cooper, dass Lügen zu einer Lebensform werden können. Die Polizisten fangen damit an, die Dinge zurechtzubiegen, wenn sie ihren ersten Festnahmebericht schreiben, und irgendwann haben sie nicht einmal mehr Skrupel, unschuldigen Rechtsanwälten etwas anzuhängen.«
Jenny machte sich eine Notiz, auch wenn sie keine großen Hoffnungen hegte, dass sie zu etwas nütze sein würde. Weder Donovan noch die Polizei würde zugeben, Aussagen manipuliert zu haben, und einen Zusammenhang zwischen Donovans Behauptung und den Betrugsvorwürfen würde man auch nicht nachweisen können.
»Erzählen Sie mir etwas über Ihre Rolle in dem Fall«, sagte Jenny.
McAvoy berichtete, dass Mrs. Jamal und Mr. und Mrs. Hassan – Ladenbesitzer aus Birmingham – Anfang Oktober zu ihm gekommen seien. In den ersten Wochen nach dem Verschwinden ihrer Söhne hatten sie regelmäßigen Kontaktzur Polizei gehabt, aber im Frühherbst war er plötzlich abgebrochen. Sie hatten sich an Parlamentarier und Ratsmitglieder gewandt, aber die hatten sie wiederum an die Polizei verwiesen, die nicht einmal bereit gewesen war, für ein Vermisstenplakat zu zahlen. In ihrer Verzweiflung waren die Eltern zu ihm gekommen. Er hatte an die Polizei geschrieben und vier Wochen später Kopien von den Zeugenaussagen erhalten. Unter Bezug auf Dani James’ Bericht über einen möglichen Eindringling hatte er sich erneut schriftlich an die Polizei gewandt und sich erkundigt, was man mit dieser Spur angefangen habe. Er hatte nie eine Antwort erhalten.
Im Dezember bekamen beide Familien den Brief von der Verbindungsbeamtin Sarah Cole, in dem sie ihnen mitteilte, dass die Ermittlungen eingestellt worden seien. McAvoy legte Protest ein, erreichte aber nichts. In den Weihnachtsferien rief ihn Mrs. Jamal zu sämtlichen Tages- und Nachtzeiten an. Offensichtlich hatte sie einen Nervenzusammenbruch erlitten. Die Hassans schrieben ihm zu Beginn des neuen Jahres, dass sie seine Dienste nicht weiter in Anspruch nehmen würden.
»Haben Sie eine Vorstellung, wieso?«, fragte Jenny.
»Die Hassans sind konservative Leute. Ihr Sohn war zu diesem Zeitpunkt schon sechs Monate
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