Totenstätte
den Severn. Billy hat mit ein paar Jungs von der Mautstation gesprochen und an der alten Severn Bridge tatsächlich einen Typen aufgetrieben, der sich an einen ähnlichen Wagen erinnern konnte: schwarzer Minivan mit zwei weißen Typen vorne drin und zwei junge Indopakistaner auf der Rückbank.«
»Ein Jahr danach?«
»Der Mann sagte, es sei ein ungewöhnlicher Anblick gewesen. Nach Monmouthshire fahren nur wenige Dunkelhäutige. Er selbst war aus Chepstow – da gibt es einen chinesischen Takeaway. Das war’s dann schon mit allem Fremdländischen.«
»Gibt es auf der Brücke nicht Kameras, die sämtliche Nummernschilder registrieren?«
»Wird alles nach vier Wochen gelöscht. In diesem Fall hätte uns die staatliche Überwachungsmaschinerie wirklich mal nützlich sein können.«
»Haben Sie die Sache weiterverfolgt?«
McAvoy schüttelte den Kopf. »Ich habe sie mir aus dem Kopf geschlagen. Billy hatte einen Schlaganfall, und der gute Pater O’Riordan half mir, mich mit meiner Situation zu versöhnen. Das Schicksal schien gegen die Ermittlungen zu sein.«
»Von alldem hat mir Mrs. Jamal nichts erzählt.«
»Ich habe sie nicht damit belastet. Was hätte es ihr denn gebracht? Sie wäre nur noch verrückter geworden. Außerdem hatten wir ja nicht einmal solide Beweise. Ehrlich gesagt hatte ich mich schon weitestgehend selbst davon überzeugt, dass an der Sache nichts dran war … bis ich dann von Ihrer Untersuchung hörte.«
»Und was genau hat zu Ihrem Meinungsumschwung geführt?«
»Da fragen Sie mich was …« Er dachte einen Moment nach. »Vermutlich hatte ich das Gefühl, dass das Schicksal wieder milder gestimmt ist. Außerdem war da mein Klient mit der vermissten Tochter. Und wenn ich an die Sache zurückdenke, frage ich mich, ob die armen Familien der Vermissten nicht ein wenig Ruhe gefunden hätten, wären sie nicht an einen unseligen Bastard wie mich geraten.«
»Okay.« Jenny schaute auf ihre Notizen. Viele waren es nicht. »Ihr Wunsch nach Erlösung gründet also in einem nicht zurückzuverfolgenden Telefongespräch, das wichtig oder unwichtig sein mag, und dem flüchtigen Blick eines Mautkassierers in ein Auto.«
»Ich kann mich noch an seinen Namen erinnern. Frank Madog.«
Jenny schrieb ihn auf. »Wir werden sehen, ob wir ihn dazu bekommen, eine Aussage zu machen.«
»Das ist vermutlich keine so gute Idee. Warum vertagen Sie die Anhörung nicht um ein paar Tage und sprechen zuerst persönlich mit ihm, dann sehen wir ja, ob es zu irgendetwas führt? Wenn Sie wollen, kann ich den Kontakt herstellen.«
»Klar.« Sie schloss ihr Notizbuch. »Gibt es eigentlich irgendwelche Gründe, warum Sie sich berufen fühlen, sich in meine Untersuchung einzumischen?«
»Ja«, sagte McAvoy. »Ich habe einen Anruf bekommen.Gestern Morgen, zehn Uhr. Ich war vollkommen nüchtern. Die Stimme klang wie die eines Roboters, wegen des Stimmverzerrers, aber ich glaube, es war eine männliche. ›Sagen Sie mir, was Sie wissen, McAvoy, oder Sie sind ein toter Mann.‹«
»Was sollen Sie worüber wissen?«, fragte Jenny skeptisch.
»Das habe ich auch gefragt. Mit seiner Roboterstimme sagte er, und zwar wortwörtlich: ›Ich würde nicht mal in die Kiste reinscheißen, in der du in die Hölle reist.‹ Er hat Kiste gesagt, nicht Sarg . Wer auf dieser Seite vom Atlantik redet schon so?«
»Was ist dann passiert?«
»Ich habe aufgelegt.«
Jenny nickte mit einer Miene, die hoffentlich neutral wirkte. In ihrem Kopf hatte sich eine Stimme zu Wort gemeldet, die ihr dringend nahelegte, sofort, ohne sich noch einmal umzudrehen, zu verschwinden.
»Bevor Sie sich auf irgendetwas einlassen«, sagte McAvoy, »sollten Sie noch etwas wissen.«
»Schlimmer kann es ja nicht mehr werden.«
»Ihre Assistentin, Alison Trent … Sie gehörte zu den Leuten, die mich damals ins Gefängnis gebracht haben.« Er zuckte nachsichtig mit den Schultern. »Soll ich also den Kontakt zu Madog herstellen?«
Sie hörte Alisons Stimme schon, als sie die Eingangstür aufschloss. Es klang, als würde sie telefonieren.
»Natürlich ist sie zu Hause willkommen, sie ist schließlich meine Tochter. Ich verstehe nur nicht, warum die dabei sein muss.«
Jenny blieb vor der Bürotür stehen und fühlte sich schuldig, weil sie lauschte. Andererseits hatte sie das Gefühl, dasssie dieses Gespräch nicht unterbrechen sollte. Außerdem war sie neugierig.
»Wie oft soll ich das noch sagen? Ich habe nichts gegen sie, es ist nur die ganze Situation … Ich
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