Totentanz im Monsterland
einige Ebenen, die nicht so persönlich sind. Setzt euch bequem hin und entspannt euch, denn was jetzt kommt, ist nicht von dieser Welt.«
Die Stimme von Devorno wurde von einem Sopranchor abgelöst, den wir schon im Himmel die ganze Zeit hatten ertragen müssen.
Das Licht außerhalb des Busses wechselte erneut, dann wieder, als unser Gefährt auf dem Weg zu unserer Bestimmung durch eine ganze Anzahl von Ebenen schoß. Die Bilder an unserem Fenster wechselten mit atemberaubender Geschwindigkeit; zuerst erschienen Ritter und Helden, wie sie auf Wandteppichen abgebildet sein mochten, dann wechselte die Szenerie zu mehr phantastischen Elementen über, als wären wir wieder im Märchenreich der Östlichen Königreiche. Und die Bilder wurden noch fremdartiger. Eine Gruppe von Männern in schwerer Rüstung kämpfte im Schlamm um ein kleines, eiartiges Objekt. Eine zweite Gruppe schob mit gebogenen Stöcken einen runden, kleinen Stein auf dem Eis herum. Was mochte nur die Bedeutung dieser fremdartigen Aktivitäten sein? Eine dritte Gruppe von diesmal sehr hochgewachsenen Männern, die lediglich Unterwäsche trugen, schlugen auf einen Ball ein; ab und zu krachten sie mit schrecklichem Getöse ineinander, wenn einer von ihnen den Ball in die Luft warf. Dann wechselte die Szenerie erneut, und zwei muskulöse Männer standen sich in einem mit Seilen umzäunten Viereck gegenüber, sprangen sich abwechselnd an und hieben mit den Fäusten aufeinander ein.
Das zumindest kannte ich! Das war Catchen, die populärste Sportart in den Westlichen Königreichen! Dann waren diese anderen, bizarren Vergnügungen vielleicht ebenfalls Sportarten? Aber wie konnte eine andere Sportart nur mit der Ehrenhaftigkeit, der Fairneß und dem Vergnügen an der Kunst des Catchens konkurrieren? Ich war dazu verdammt, das niemals herauszufinden, denn in diesem Moment wechselte das Licht erneut.
Dies schien eine ruhigere Ebene zu sein, die aus vorzugsweise fremdartig gekleideten Leuten bestand, die in ernste Gespräche miteinander verwickelt waren, obwohl die Farben intensiver leuchteten als in jeder anderen Ebene, welche wir bisher durchquert hatten. An uns blitzten noch andere Dinge vorbei: große Behälter, die mit Nahrung und Getränken gefüllt zu sein schienen, und Behälter, die kleiner als unser Bus waren, aber ähnlich gebaut; diese Fahrzeuge waren vorzugsweise rot gestrichen und mit je einer holden Maid bestückt, die diese Geräte viel zu schnell über enge, gewundene Straßen steuerten.
Die Gesichter wurden größer, und dann konnte ich Leute beobachten, die husteten und niesen. Mein Interesse nahm zu, denn ich hoffte, einen Blick auf meinen Meister zu erhaschen, aber ich sah nichts als Regale voll mit Flaschen und Schachteln, die Bilder und Schriften von entsetzlicher Fremdartigkeit trugen.
Ein riesiges Gesicht tauchte aus dem Nichts neben unserem Fenster auf, und eine Stimme, die das Glas der Scheibe zum Vibrieren brachte, erklärte:
»Ich habe solche Kopfschmerzen…«
»Huch!« rief unser Fahrer. »Wir sind wohl ein bißchen vom Kurs abgekommen. Keine Bange, Leute, ein kleiner Schlenker, und wir sind im Reich von Tod, ohne ein weiteres Sterbenswörtchen zu verlieren!«
Devorno zog an einer weiteren Kordel. Der Bus wurde durchgeschüttelt. Ich hörte einen entfernten Entsetzensschrei. Alle diese schönen, leuchtenden Farben lösten sich auf, und zurück blieb nur ein stumpfes Grau.
Ich brauchte keinen Reiseführer, um zu wissen, wo ich war.
Wir waren im Königreich von Tod angelangt.
Kapitel Fünfzehn
Ich habe es immer für ausgesprochen klug gehalten, nicht alleine zu reisen. Je mehr Gefährten du hast, desto sicherer wirst du dich in gefährlichen Situationen fühlen. Falls du dich zum Beispiel im Wald dem Angriff einer schreckenerregenden Kreatur ausgesetzt siehst, steigen deine Verteidigungschancen erheblich, wenn du ein oder zwei Gefährten an deiner Seite hast. Und solltest du einen Angriff der Niederhöllen zu bestehen haben, machen sich ein Dutzend schwert- und schildschwingende Kampfgenossen an deiner Seite ausnehmend gut.
Und wie sieht es in bezug auf Gefährten aus, wenn du dabei bist, die Schwelle des Reiches der Toten zu überschreiten? Nun, laß es mich so ausdrücken: Hast du auch schon einmal das dringende Bedürfnis verspürt, die gesamten Einwohner von Vushta zu deinem intimen Freundeskreis zu zählen?
aus: – REFLEXIONEN ÜBER DIE LEHRJAHRE, von Wuntvor, Assistent bei Ebenezum, dem mächtigsten
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