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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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darauf, dass Nayir ihm dem Weg beschrieb. Nayir wollte Nein sagen, alles in ihm schrie förmlich Nein, aber er hatte Katya bereits versprochen, dass er Miriam zur Polizei bringen würde. Er wollte fragen, was sie mit ihr vorhatten, aber er ahnte, dass es die Sache nur noch verschlimmern würde, wenn er sich seine Sorge anmerken ließ.
    Osama bog nach links und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Nayirs verstocktes Schweigen schien ihn nicht zu stören, aber er war offensichtlich jemand, dem sein gelassenes Auftreten wichtiger war als Aufrichtigkeit.
     
    Sie gerieten umgehend in einen Stau, was ungewöhnlich war. Osama ließ die Scheibe herunter und fragte einen Fußgänger, was denn los sei. Der Mann erklärte, dass in der Stadt eine Motorradausstellung eröffnet habe und das ferne Dröhnen, das wie Flugzeuge klang, in Wahrheit aus den Auspuffrohren Hunderter Harley Davidsons stammte, die die Amerikaner gern »Hogs« nannten. Osama dankte ihm und schloss das Fenster wieder.
    »Hog«, wiederholte er.
    »Ist das nicht ein englisches Wort für Schwein?«, fragte Nayir.
    Osama sah zu ihm herüber und schien aus der Frage abzuleiten, dass Nayir einer dieser lächerlich konservativen Männer war, die sich über jede Kleinigkeit aufregten. Nayir schwieg. Als es weiterging, sahen sie die eigentliche Ursache für den Stau. Ein Fußgänger war angefahren worden und lag auf der Straße. Sanitäter bemühten sich um ihn, aber immerhin bewegte sich der Ärmste, also war er zumindest nicht tot.
    Einige Querstraßen weiter stockte der Verkehr erneut, und das Dröhnen der Motorräder wurde lauter. Als sie schließlich auftauchten, schien sich alles zu verlangsamen. Autos hielten an. Passanten erstarrten. Eine Frau am Straßenrand nahm ihren Sohn auf den Arm, hob ihren Neqab und zeigte auf die Biker. Der Sohn fing an zu weinen, ein lautes verängstigtes Heulen, das in dem Motorenlärm unterging. Zwei gedrungene schwarze Motorräder rollten über die Kreuzung, die Fahrer in hautenger Ledermontur und T-Shirts. Ihre Arme und Nacken waren rosa von der sengenden Sonne. Nayir geriet schon bei ihrem Anblick ins Schwitzen.
    Dann kamen immer mehr, in Gruppen zusammengerottet wie Geier, die sich auf einen Kadaver stürzen. Einige afrikanisch aussehende Männer, ein paar Araber, überwiegend Europäer und Amerikaner rollten durch Wolken aus Schweiß und Abgasen und wabernden Hitzewellen und verursachten einen Lärm, der den Ruf zum Gebet übertönt hätte. Es wäre schwierig, in einem arabischen Gewand ein Motorrad zu fahren, und so war kein einziges zu sehen, bloß Leder und Haut, das bebende Fleisch muskulöser Arme. Die Biker zogen in einer langsamen Parade vorbei, irgendwie düster und festlich zugleich. Aber das blitzende Sonnenlicht auf Chrom und der donnernde Krach weckten in Nayir nur den Wunsch, diese Demonstration amerikanischer Kultur würde schnell wieder verschwinden, weiterziehen und in Vergessenheit geraten.
    Als der Verkehr wieder störungsfrei floss, wirkte Osama noch entspannter.
    »Wir haben Walkers Telefondaten überprüft«, sagte er beiläufig. »Er und Leila haben sich bis zwei Tage vor ihrem Tod häufig angerufen.«
    Sie fuhren durch einen Kreisverkehr. »Wir wissen außerdem, dass Miriam Walker außer Landes war, als Leila ermordet wurde«, sprach Osama weiter. »Wir möchten sie also nur zu einer Vernehmung aufs Präsidium bringen. Ihre Frau hat mir erzählt …«
    Den Rest hörte Nayir nicht mehr. Ihre Frau?
    Osama hatte aufgehört zu reden und sah ihn an.
    »Das hat Katya Ihnen erzählt?«, fragte Nayir.
    Osamas Mundwinkel zuckten. »Ja«, sagte er. »Sie war sehr offen. Ihr liegt viel an diesem Fall.«
    Auf einmal ergab alles einen schrecklichen Sinn: Deshalb also trug Katya noch immer ihren Verlobungsring. Ihr Vorgesetzter sollte glauben, dass sie verheiratet war. Es lag auf der Hand, dass sie ihm auch von Nayir hatte erzählen müssen, und wie sollte sie erklären, dass sie ihn kannte, wenn sie nicht mit ihm verwandt war? Er musste einfach mit ihr verwandt sein – aber hatte sie wirklich behauptet, er wäre ihr Ehemann? Eine unterschwellige Freude erfasste ihn, doch gleichzeitig war er entsetzt über die Unverfrorenheit der Lüge.
    »Herr Sharqi, ist Ihnen nicht gut?«
    Mit einem Mal war Nayir klar, dass er Katyas Tarnung nicht auffliegen lassen konnte. Wieso hatte er das übersehen? Natürlich hätte die Polizei sie nicht eingestellt, wenn sie ledig wäre. Es gab bestimmt gesetzliche Bestimmungen

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