Totenverse (German Edition)
geschüttelt. Aber die hier sind zu symmetrisch. Sie sind rundumlaufend, vielleicht von einem Seil.«
»Oder einem iqal «, sagte Katya. Mit der schwarzen aus Ziegenhaar gedrehten Schnur, aus der die Fußfesseln der Kamele gemacht wurden, befestigten die Männer auch ihre Kopftücher.
»Ja«, sagte Adara. Sie zog das Tuch ganz weg. An den Oberschenkeln der Frau waren etliche Messerwunden. Adara ging zu einer Wand und schaltete das Sichtgerät ein, an dem Röntgenaufnahmen von Evas Beinen steckten. Adara deutete auf das rechte Bein. »Das ist eine ältere Verletzung. Schienbeinfraktur, wahrscheinlich ein Jahr alt.«
»Dann gibt es vielleicht irgendwo Krankenhausunterlagen, mit deren Hilfe sie sich identifizieren ließe«, schlug Katya vor.
»Wohl kaum. Der Bruch ist nicht ordentlich verheilt, daher vermute ich, dass sie nicht ärztlich behandelt wurde.« Sie zeigte auf eine andere Aufnahme. »Das da ist frischer. Eine Beckenfraktur. Ebenfalls prämortal, ich würde sagen, kurz vor ihrem Tod – angesichts der vielen Quetschungen. Sieht mir ganz nach einem Bruch aus, der auf einen Sturz zurückzuführen ist.« Adara zeigte auf einen Plastikbeutel auf einem Instrumentenwagen in der Nähe. »Da drin ist ihre Kleidung. An dem Umhang, den sie trug, ist mir nichts aufgefallen, aber vielleicht könnten Sie sich den noch mal genauer ansehen. Vor allem im Beckenbereich. Die werden wissen wollen, wie es zu dem Bruch kam.«
Die werden wissen wollen . Sie meinte die echten Ermittler.
»Wurde sie vergewaltigt?«, fragte Katya, obwohl ihr vor der Antwort graute.
»Nein«, sagte Adara sanft. In dem schonungslosen Neonlicht wirkte der entblößte Körper wie eine Wachspuppe mit rotem Gesicht und roten Fausthandschuhen. Katya hatte nicht wie damals beim Anblick von Noufs Leichnam das unheimliche Gefühl, dass die Tote gleich aufwachen würde. Hier hatte sie eher mit der Angst zu kämpfen, dass der Mensch, der das getan hatte, plötzlich hereinkommen und es noch mal tun könnte. Sie musste sich beherrschen, nicht immer wieder nervös zur Tür zu schielen.
»Die Gesichtshaut«, sagte Adara schließlich, »ist weggebrannt. Ebenso wie die Haut an den Händen. Solche Verbrennungen entstehen durch heißes Fett. Vielleicht auch Säure. Jedenfalls nicht durch Feuer.«
»Vielleicht irgendein Brat- oder Frittierfett?« Katya wunderte sich selbst über die Ruhe in ihrer Stimme. Sie schaute Adara an, die niedergeschlagen aussah. »Kann ich eine Hautprobe bekommen?«
»Ja, sofort.« Adara entfernte ein Stück von der verbrannten Haut.
»Wie ist sie gestorben?«
»Genickbruch.« Adara zeigte auf die Röntgenaufnahmen. »Ihr wurden zuerst die Verbrennungen zugefügt, dann die Stichwunden, dann die Verletzungen durch Schläge. Und schließlich wurde ihr das Genick gebrochen, wie es aussieht.«
Es kostete Katya ihre ganze Willenskraft, sich das Geschehen nicht bildhaft vorzustellen. »Wurde irgendwas bei der Leiche gefunden?«, fragte sie.
»Nein. Und Fingerabdrücke können wir wohl vergessen. Aber ich habe eine Frau kontaktiert, die spezialisiert ist auf Gesichtsrekonstruktionen mithilfe von Schädelabgüssen. Sie ist Syrierin und sie kommt morgen Vormittag her. Vielleicht bekommen wir so eine ungefähre Vorstellung, wie die Tote ausgesehen hat.«
Sie blickten beide auf das Gesicht, eine Masse aus rohem Fleisch mit schwachen Erhebungen, wo Nase und Kinn gewesen waren. Katya schaute rasch weg. Sie hatte Adara zur Geburt ihres Sohnes gratulieren wollen, aber jetzt fürchtete sie, es würde einen Totenhauch über das Kind werfen, wenn sein Name hier genannt wurde.
»Der Täter hat ihre Identität vernichtet«, sagte Adara. »Er hat ihr Gesicht und ihre Hände zerstört, damit wir nicht herausfinden, wer sie war.«
DNA-Tests? Auch daran hatte der Mörder bestimmt gedacht, und er musste gewusst haben, dass die DNA dieser Frau in keiner Datenbank gespeichert war. Katya würde es trotzdem versuchen, obwohl sie das Gefühl hatte, dass Eva im Tod für den Staat ebenso namenlos bleiben würde, wie sie es im Leben gewesen war.
11
Katya blieb auf dem Gang vor dem kriminaltechnischen Labor im Untergeschoss stehen und fing Majdis Blick auf. Er lächelte ihr zu und winkte sie herein, aber da er gerade telefonierte und sie nicht stören wollte, wartete sie. Ein Mann ging an ihr vorbei. Ihr Neqab war hochgeschlagen, ihr Gesicht unbedeckt, und der Mann sah betont weg. Umso besser , dachte sie. Zainab, ihre ehemalige Vorgesetzte, hatte ihr
Weitere Kostenlose Bücher