Totenverse (German Edition)
Fotos für jemanden gemacht, der wollte, dass sie geheim bleiben.«
»Vielleicht hat sie die Fotos vor dem Auftraggeber versteckt«, spekulierte Katya. »Vielleicht sollte sie keine Abzüge für sich behalten.«
»Ja, kann sein.« Majdis Aufmerksamkeit wandte sich wieder dem Bildschirm zu. »Also, wollen Sie Osama nun von dieser Faruha erzählen, oder soll ich das machen?«
»Machen Sie das lieber«, sagte Katya. »Ich will ihn nicht stören, wenn er beschäftigt ist.« Sie kam sich albern vor, das zu sagen. In Wahrheit hatte sie einfach nicht den Mut, Osama anzusprechen. Sie wusste so wenig über ihn und konnte nicht abschätzen, wie er reagieren würde. »Aber ich hoffe, Sie werden mich ihm gegenüber in höchsten Tönen loben«, fügte sie lächelnd hinzu.
Majdi drehte sich überrascht zu ihr um. »Ja klar«, sagte er. »Ich hab ihm auch schon erzählt, dass Sie das Bild in dem Neqab gefunden haben.«
Lächelnd ging sie zurück in ihr Labor.
16
Auf dem Flur vor ihrer Wohnung beeilte Katya sich, die Tür aufzuschließen, ehe Ayman die sechs Einkaufstüten fallen ließ, mit denen er sich abschleppte.
»Was würden wir nur ohne dich machen?«, sagte sie.
»Ich weiß nicht«, ächzte er. »Was habt ihr denn früher gemacht?«
»Wir haben nicht so viel gegessen.«
Ayman wankte durch die Tür schnurstracks Richtung Küche.
»Hallo!«, rief Katya ihrem Vater zu. Der pikante Duft von Biryami-Gewürzen wehte ihr schon entgegen, noch ehe Abu den Kopf aus der Küchentür reckte. Er trug eine Schürze und er hatte Curry an der Wange. Als er sah, dass Ayman kurz davor war zusammenzubrechen, legte er seinen Löffel beiseite und nahm ihm ein paar Tüten ab.
»Um Himmels willen, was habt ihr denn alles gekauft?«, fragte Abu verwundert.
»Einen Kuchen. Perrier und Orangensaft. Mangos, falls er Obst möchte.«
Abu schüttelte den Kopf und ging wieder in die Küche, gefolgt von Katya.
»Ayman«, sagte ihr Vater, »du musst noch mal los. Wir haben was vergessen.«
»Was denn?«
»Einen zweiten Kühlschrank.« Abu musterte Katya skeptisch. »Ist dein Bekannter etwa ein Riese?«
Katya schmunzelte. »Danke fürs Kochen«, sagte sie und goss sich ein Glas Wasser ein. »Ich geh mich umziehen. Baba, bitte sei nett zu ihm. Er kann ein bisschen unbeholfen sein.«
»Das hast du mir schon zigmal gesagt.« Er nahm den Löffel, scheuchte sie aus dem Zimmer und wechselte einen kurzen Blick mit Ayman, als sie ging. Sie wusste, was die beiden dachten: dass sie offensichtlich in Nayir verliebt war und er das offensichtlich nicht verdient hatte.
Sie fühlte sich verschwitzt und klebrig, daher duschte sie kalt, was sie aber kein bisschen entspannte. In Gedanken ging sie ihre Liste mit Bedenken durch – würde Nayir ihren Vater mögen? Was würde er von Ayman halten? Würde er den ganzen Abend über schweigsam und abweisend sein, sodass sie das Gespräch in Gang halten musste? Worüber konnte sie reden, ohne auf ein potenzielles Minenfeld zu geraten?
Sie konnte sich nicht entscheiden, was sie anziehen sollte. Nayir hatte sie noch nie in normaler Kleidung gesehen, immer nur in ihrem schwarzen Umhang. Aber sie würde im Haus keinen Umhang tragen. Das war eine ihrer Regeln für den Abend. Sie würde sich so kleiden wie immer. Sie würde ein Kopftuch tragen, aber keinen Neqab. Als sie ihren Kleiderschrank durchsah, kam ihr plötzlich alles zu gewagt vor. Jeans? Die waren eng anliegend. In dem einzigen Hauskleid, das sie besaß, würde sie sich fühlen, als trüge sie ein Nachthemd. Schließlich entschied sie sich für eine weite schwarze Hose und eine Kittelbluse aus blauer Seide mit zartem Spitzenbesatz. Das war ein bisschen zu elegant, aber alles in allem in Ordnung, fand sie.
Vor dem Badezimmerspiegel überlegte sie, ob sie Make-up auflegen sollte. Vielleicht ein bisschen Rouge? Tagsüber trug sie nie Make-up, nur zu besonderen Anlässen, und heute war ihr danach, aber Nayir würde ihr Gesicht sehen und er billigte es wahrscheinlich nicht, wenn Frauen sich schminkten. Sie erinnerte sich bis heute an seine Reaktion, als sie zufällig ein Fläschchen Nagellack aus ihrer Tasche gezogen hatte. » Sie lackieren sich die Nägel? «
Sie tupfte etwas Gloss auf die Lippen und beließ es dabei.
Es klopfte an der Tür. Zu Katyas Überraschung stand ihre Freundin Donia in der Diele, ihre drei Töchter hinter ihr aufgereiht wie Matroschka-Puppen, alle in blauen Kleidchen und eine schüchterner als die andere.
»Donia, das ist ja
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