Totenwache - Thriller
wie Sie verfüge ich über eine ausgeprägte Kombinationsgabe.«
»Das heißt, Ihre Verbrechen sind in Ihren Augen eine Art Sozialhygiene. Und das soll eine Rechtfertigung sein?«
»Nein, ganz und gar nicht. Ich sage lediglich, dass wir uns bei der Auswahl unserer Kandidaten nicht allein von finanziellen, sondern auch von ethischen Gesichtspunkten leiten lassen. Ja, Dr. Polchak, von ethischen Gesichtspunkten. Ich habe sogar einen eigenen Ethikrat, den ich vor der Auswahl jedes einzelnen Spenders konsultiere. Ich bin doch kein Barbar. Allerdings unterscheide ich moralisch zwischen nützlichen und nutzlosen Existenzen - Leuten, die etwas geben, und solchen, die bloß nehmen. Das heißt, ich verfolge das Ziel, das Leben für die Gesellschaft wertvoller Menschen zu erhalten und dafür - im Idealfall - völlig nutzlose Existenzen zu opfern. Und da ich nun einmal Zugriff
auf die Daten von dreihunderttausend Menschen habe, ist es gar nicht so schwierig, solche Leute zu finden.«
»Und wie entscheiden Sie über den Wert oder Unwert eines Lebens? Was gibt Ihnen das Recht, eine solche Unterscheidung zu treffen?«
»Natürlich habe ich dazu im strikten Sinne des Wortes kein ›Recht‹. Vielmehr berufe ich mich auf Nietzsches Konzept des ›Willens zur Macht‹. Da unsere Gesellschaft nicht bereit ist, das Beste für ihre Bürger zu tun, nehme ich mir die Freiheit, ein wenig gegenzusteuern. Den Ausschlag gibt auch hier wieder die Gesamtperspektive - der höhere Zweck. Es geht also nicht nur um die Frage, ob der reiche Mr. Vandenborre eine neue Niere bekommt. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: die Prohibitionszeit. Damals hat der Kongress die Produktion, den Verkauf und den Konsum von Alkohol für ungesetzlich erklärt. Der National Prohibition Act war gewiss ein gutes Gesetz. Denken Sie nur an die potenziell heilsamen Wirkungen des Alkoholverbots: eine Abnahme alkoholbedingter Verbrechen und Autounfälle - aber auch der häuslichen Gewalt. Allerdings gab es da ein Problem: die Nachfrage . Die immense Nachfrage nach Alkohol hat schließlich dazu geführt, dass die Prohibition durch den Einundzwanzigsten Verfassungszusatz wieder abgeschafft wurde«, sagte Zohar.
»So ist das nun einmal, Dr. Polchak«, fuhr er einen Moment später fort. »Was Gesetzeskraft erlangt, hängt letzten Endes von der Nachfrage ab. Ich habe einigen sehr reichen Leuten den Beweis dafür geliefert, dass sie nicht wie dummes Vieh auf ihr Ableben zu warten brauchen. Die Nachfrage dieser Leute schafft den Markt. Wenn Sie so wollen, bin ich eine Art Organschmuggler. Das heißt, ich sorge dafür, dass wenigstens einige der über sechstausend Menschen, die jedes Jahr sterben, obwohl sie auf einer
Warteliste vermerkt sind, auch tatsächlich ein Spenderorgan erhalten. Diese Menschen sind Opfer einer antiquierten Ethik. Durch mein Angebot sorge ich dafür, dass die Nachfrage nach solchen Spenderorganen zunimmt. Sobald das erreicht ist, werden sich auch die Gesetze ändern. Darum geht es mir, Dr. Polchak. Ich möchte sechstausend Leben pro Jahr retten. Und wenn ich das auf Kosten einiger verrohter oder asozialer Subjekte tun muss, dann sei’s drum. Sie mögen das für unsittlich halten, ich dagegen sehe darin ein erstrebenswertes Ziel.«
»Jetzt möchte ich Ihnen mal ein Gleichnis erzählen«, sagte Nick. »Drei Cowboys reiten in die Stadt. Der erste bindet sein Pferd an dem Tier des zweiten fest, der zweite seines an dem Pferd des dritten. Dann gehen alle drei Pferde gemeinsam durch. Und wieso? Weil keines der Pferde an einem Pflock festgebunden ist.«
Zohar schüttelte den Kopf. »Sie haben mit Dr. Paulos gesprochen, nicht wahr? Ich fürchte, er hat Sie mit seinen reichlich altmodischen ethischen Auffassungen infiziert.«
»Aus meiner Sicht ist alt noch längst nicht gleich altmodisch. Ian Paulos ist davon überzeugt, dass jedes Individuum einen Wert hat - nicht etwa wegen seiner Leistungsfähigkeit, sondern weil es nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist. Mir erscheint diese Auffassung durchaus zeitgemäß. Jedenfalls trägt sie dazu bei, dass nicht ständig sämtliche Gäule durchgehen.«
»Pferde brauchen aber freien Auslauf, Dr. Polchak.«
»Aber sie brauchen auch einen Reiter, weil man sonst nicht weiß, wohin sie laufen. Es hat in der Geschichte schon oft genug Leute gegeben, die von sich behauptet haben, dass sie eine große - eine höhere - Vision haben, eine Vision, die es angeblich erlaubt, Millionen von Menschen ihrer
elementarsten Rechte zu
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