Totenwache - Thriller
Geruch?«
»Was?«
»Wissen Sie, wie Schmeißfliegen einen Kadaver finden? Wenn Körpergewebe verwest, setzt es einen chemischen Botenstoff frei - den wir wissenschaftlich leider bis heute nicht dingfest machen können. Dann erscheinen die ersten Schmeißfliegen und legen ihre Eier ab. Aus den Eiern schlüpfen Larven, die sich verpuppen, und schon haben wir eine neue Fliegengeneration. Aber die nächste Generation will mit dem Kadaver, dem sie ihr Dasein verdankt, nichts mehr zu tun haben. Und wissen Sie, warum? Weil das Gewebe inzwischen zerfallen und ausgetrocknet ist. Es setzt daher einen anderen Botenstoff frei. Schmeißfliegen entdecken eine Leiche durch Geruchsmoleküle, die nur sie wahrnehmen können. Allerdings hat dieser Geruch ein enges Zeitfenster.«
»Wollen Sie damit sagen, dass ich mich beeilen soll? Oder fühlen Sie sich durch mich etwa an eine Schmeißfliege erinnert?«
»Damit will ich lediglich sagen, dass hier irgendetwas stinkt. Und - ganz recht, Dr. McKay, Sie erinnern mich in der Tat an eine Schmeißfliege. Schließlich sind Sie doch genau wie die Fliege eine forensische Ermittlerin. Und wenn Sie das Gefühl haben, dass dieser Lassiter stinkt, würde ich
an Ihrer Stelle meinem Instinkt folgen. Das ist doch fast überall im Tierreich so …«
Nick beobachtete, wie Riley den Bericht wieder in das Kuvert schob und dann auf den Fluss hinausblickte. Er betrachtete ihre Augen - eines grün, das andere braun - und überlegte, was in ihrem Kopf vor sich gehen mochte.
»Ich hab da noch eine Frage«, sagte er.
»Vereinbart war aber nur eine .«
»Ich bin sogar bereit, dafür zu zahlen. Die Frage fällt in die Kategorie ›Geheime Motive‹, und ich biete Ihnen für die Antwort hundert Dollar. Also: Warum interessiert Sie das alles so brennend? Was versprechen Sie sich von der Aufklärung Ihrer Fragen? Was kümmert es Sie, ob ein arroganter Pathologe eine Fehlentscheidung trifft?«
Riley dachte einige Sekunden nach. »Die Frage möchte ich lieber nicht beantworten«, sagte sie schließlich. »Dazu kenne ich Sie noch nicht gut genug.«
»Eine faire Antwort«, entgegnete Nick, »aber keine hundert Dollar wert. Lassen Sie es mich noch mal versuchen. Meine letzte Frage fällt in die Kategorie ›Berufsrisiko‹. Wieder sind für Sie hundert Dollar drin. Also: Wie weit wollen Sie in dieser Angelegenheit gehen?«
»Weiß ich nicht«, erwiderte Riley. »Hängt davon ab, was ich finde.«
»Das heißt, Sie wollen weitere Nachforschungen anstellen?«
»Ob sich das lohnt - was meinen Sie?«
»Ich habe mal einen Vordiplomanden seziert, damit man mich von meiner Lehrtätigkeit entbindet«, sagte Nick. »Mich sollten Sie besser nicht fragen, wie weit man unter bestimmten Umständen gehen kann.«
»Nun ja, ich weiß auch häufig nicht, wann es genug ist«, sagte Riley. »Aber was soll ich denn jetzt tun? Bisher weiß
ich nur: Es gibt tatsächlich eine Anomalie. Soll ich jetzt im Institut noch mal den Aufstand proben? Das wäre mein berufliches Ende.«
»Richtig. Das können Sie nicht riskieren. Wenn Sie das nächste Mal den Aufstand proben, sollten Sie wenigstens etwas Konkretes in der Hand haben. Am besten einen Beweis .«
»Aber das ist doch gerade das Problem«, sagte Riley. »Wenn ich etwas beweisen will, müsste ich zuerst an die nötigen Beweismittel herankommen - und da ist Lassiter vor. Ich darf ja bei seinen Autopsien nicht dabei sein. Deshalb kann ich nur hinterher seine Berichte lesen - und die hat er schließlich selbst abgefasst.«
»Und wenn Sie die Angehörigen dazu überreden, eine weitere Autopsie zu verlangen? Darauf haben die Leute schließlich ein verbrieftes Recht.«
»Ja - aber wie soll ich das denn begründen ? Und wer kommt für die Kosten auf? Und wenn nun bei einer zweiten Obduktion nichts herauskommt? Außerdem lässt sich das natürlich nicht geheim halten. Die Oberchefs im Institut würden davon ganz sicher Wind bekommen.«
»Trotzdem, ein paar Trümpfe haben Sie noch in der Hand.«
»Zum Beispiel?«
»Sie sind noch in der Ausbildung - wissenschaftliche Assistentin. Also haben Sie auch gewisse Rechte, die Ihnen Ihr Chef nicht einfach vorenthalten kann. Das heißt, wenn Sie sich an Ihrem Institut ein bisschen umhören, kann Ihnen das eigentlich niemand verübeln - schließlich handeln Sie ja aus beruflichem Interesse. Außerdem wissen Sie von diesen Auffälligkeiten, wovon Dr. Lassiter wiederum keine Ahnung hat. Und dann noch ein Punkt: Dr. Lassiter hat einen Dienstplan.
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