Totenwache - Thriller
sagte sie. »Reden Sie weiter.«
»Die Maden, die Sie eingesammelt haben, gehören zu vier verschiedenen Schmeißfliegenarten. Sie haben Glück gehabt. Alle vier Arten lassen sich bereits im Larvalstadium identifizieren. Ich musste die Verpuppung also gar nicht erst abwarten. Die erste Art, die ich gefunden habe, heißt Phaenicia coeruleiviridis - eine grüne Fleischfliege. Das ist eine weit verbreitete Aasfliege, die zu den ersten Spezies gehört, die nach dem Ableben auf einer Leiche landen. Die zweite Art war die Phormia regina , die schwarze Schmeißfliege. Diese Tiere erscheinen meist etwa zwölf bis zwanzig Stunden nach Eintritt des Todes. Beide Spezies sind vor allem im ländlichen Raum sehr verbreitet.«
»Und die beiden anderen?«
» Phaenicia sericata gehört ebenfalls zu den grünen Fleischfliegen. Das ist gewissermaßen die städtische Variante der Phaenicia coeruleiviridis . Man kann sie zwar auch auf dem Land antreffen, doch dort machen die Tiere nur rund fünf Prozent der Aasfliegen aus. Von den Maden, die Sie sichergestellt haben, gehören allerdings mehr als die Hälfte zu dieser Art. Sind Sie sicher, dass Ihre Proben repräsentativ für die Maden sind, von denen die Leiche besiedelt war? Oder haben Sie bestimmte Larven bevorzugt gesammelt?«
»Natürlich habe ich darauf geachtet, dass einige besonders große Maden dabei sind«, sagte Riley. »Aber ich habe auch von allen anderen Exemplaren, die mir aufgefallen sind, Proben genommen. Dabei bin ich genau so vorgegangen, wie man es uns beigebracht hat.«
Nick sah sie an. »Was hier auffällt, ist der ungewöhnlich hohe Anteil blauer Schmeißfliegen - Calliphorae vicinae. Blaue Schmeißfliegen sind Stadtfliegen und bevorzugen
schattige Plätze. Wenn man beispielsweise in einem Keller eine Leiche findet, stößt man automatisch auch auf blaue Schmeißfliegen. Diese Spezies macht zehn Prozent Ihrer Proben aus. Dass die Sericata so stark vertreten ist, könnte man vielleicht noch als Zufall gelten lassen, auch wenn ich das nicht glaube, aber denkbar ist es. Wenn man dann allerdings noch die blauen Schmeißfliegen hinzunimmt, drängt sich eine bestimmte Erklärung auf: Ihr Toter hat nach Eintritt des Todes noch einige Zeit in der Stadt verbracht. Welche Todesursache ist im Obduktionsbefund angegeben?«
»Ist das nun die eine Frage, die Sie mir stellen dürfen?«, fragte Riley.
»Ach, hören Sie mal, das ist doch keine Zweihundert-Dollar-Frage.«
»Akuter Herzinfarkt«, sagte Riley. »Der Mann war erst fünfunddreißig.«
»Statistisch ungewöhnlich, aber nicht ganz auszuschließen«, sagte Nick. »Wir haben da ein Problem: entweder der Mann ist in der Stadt gestorben und später aufs Land gebracht worden, oder er ist auf dem Land gestorben, dann in die Stadt und hinterher wieder aufs Land verfrachtet worden.«
»Und warum sollte jemand so etwas tun?«
»Keine Ahnung.« Nick zuckte mit den Schultern. »Für die Aufklärung solcher Fragen ist eigentlich das Rechtsmedizinische Institut zuständig. Eins ist klar: Irgendwer hat sich noch nach dem Ableben des Mannes an ihm zu schaffen gemacht. Was sich mit dem Befund ›natürliche Todesursache‹ nur schwer in Einklang bringen lässt. Ich würde mir an Ihrer Stelle diesen Herzinfarkt noch mal genauer ansehen.«
Riley schwieg. Der Wind hatte sich inzwischen gedreht, und über den beiden ging ein feiner Sprühregen nieder.
»Und jetzt zu meiner Frage«, sagte Nick strahlend. »Sie fällt in die Kategorie ›Nagender Verdacht‹ und ist mir zweihundert Dollar wert. Also: Warum trauen Sie Ihrem Chef nicht über den Weg?«
Riley wandte sich ab. »Wann habe ich denn behauptet, dass ich ihm nicht …«
»Sie sind wissenschaftliche Assistentin am Rechtsmedizinischen Institut hier in Allegheny County«, sagte er. »Das heißt, Sie rangieren dort in der Hierarchie ziemlich weit unten. Ihre Fragen sind durchaus plausibel - lauter Fragen, die Sie eigentlich mit Ihrem vorgesetzten Pathologen abklären sollten. Aber wenn ich Sie recht verstehe, möchten Sie nicht mal, dass er überhaupt etwas von Ihren Fragen erfährt. Deshalb tragen Sie selbst Beweismittel zusammen - zum Beispiel entomologische Befunde -, damit Ihnen niemand auf die Schliche kommt. Raf-fi-niert, Dr. McKay. Ja, Sie engagieren sogar auf eigene Rechnung einen Fliegendoktor. Deshalb drängt sich mir die Vermutung auf, dass Ihre Fragen in Ihrem eigenen Institut nicht so gut ankommen. Meine Zweihundert-Dollar-Frage lautet daher: Warum ist das
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