Totenzimmer: Thriller (German Edition)
feuchtes, feines Kokosmehl auf den Boden legte, und die graue Masse des Gehirns. Und all das, diese Zurschaustellung der offenkundigen Beweise für die Armseligkeit der Menschen, überließen die Rechtsmediziner ihren Gehilfen. In der Regel waren das Leute mit einer handwerklichen Ausbildung, oft auch ehemalige Krankenträger. Ich war zweifelsohne ein guter Handwerker und hatte flinke Finger, egal, was ich mir damit vornahm – jetzt wusste ich endlich, wie ich glücklich werden konnte.
Als mein praktisches Jahr zu Ende ging, war ich bereit, zwei Fliegenmit einer Klappe zu schlagen und dem Medizinstudium den Rücken zu kehren – ein halbes Jahr vor dem Examen. Mit etwas Glück würde diese Entscheidung mir nicht nur die richtigen Türen öffnen, sondern überdies meinen Vater so massiv enttäuschen und ihm damit so zusetzen, dass er das Zeitliche segnete. Das nicht ganz unbedeutende Erbe, das mir zustand, konnte ich gut gebrauchen. Die Fahrten nach Deutschland waren nicht gerade billig, insbesondere die Jagdausflüge.
Vater ging auch wirklich in die Knie, als ich ihm meinen Entschluss mitteilte und ihn vor vollendete Tatsachen stellte, denn ich hatte bereits die Zusage für eine Anstellung als Krankenträger im Universitätsklinikum in Odense. Ich musterte meinen Vater: Seine Augen waren rotgerändert und seine Haare dünn und grau. War es überhaupt wünschenswert, so alt zu werden? Ich war es verdammt leid, ihn zu besuchen, auch wenn ich das nur äußerst selten tat. Wir hatten noch nie miteinander reden können, und seit er allein war, gingen mir seine Wehleidigkeit und sein Selbstmitleid derart auf den Geist, dass mir manchmal richtig schwarz vor Augen wurde. Ich erwog einen Moment lang, kurzen Prozess zu machen, dachte dann aber, dass die Natur mir diese Arbeit in absehbarer Zeit schon abnehmen würde. Er langweilte mich.
24
Ob die drei Mädchen vor ihrem Verschwinden in der Notaufnahme gewesen waren, hätte die Polizei bestimmt ohne jede Schwierigkeit vom Klinikum erfahren, aber dieser Fall war für mich in vielerlei Hinsicht so persönlich geworden, dass ich endlich Gewissheit wollte. Sofort. Außerdem hatte ich ganz sicher nicht die Geduld, erst wieder alles zu erklären oder zu warten und Däumchen zu drehen und mir dabei womöglich wieder anhören zu müssen, dass ich mich in die Ermittlungen einmischte.
Leider waren wir uns alles andere als sicher, ob die Schwester am Empfang der Notaufnahme des Odenser Universitätsklinikums auch uns die gewünschten Informationen geben würde. Wie absurd das auch sein mochte, aber einige Leute nahmen ihre Schweigepflicht sehr ernst, auch wenn wir nur wissen wollten, ob die drei Mädchen mit ihren kleineren Verletzungen in der Notaufnahme gewesen waren. Dass wir ihre Versicherungsnummern kannten, zwei von ihnen ermordet worden waren und ich sie obduziert hatte, war den Angestellten in der Notaufnahme vielleicht sogar völlig egal. Ich hatte jeden Millimeter ihrer inneren Organe inspiziert, musste aber trotzdem damit rechnen, nicht zu erfahren, ob sie in der Notaufnahme gewesen waren. Um dem entgegenzuwirken, zogen wir unsere Arbeitskleider an, manchmal zeigte das ja Wirkung. Ich streifte meine weiten Obduktionskleider über, und Nkem zog ihren Laborkittel an und nahm das giftgrüne Haarband ab, denn ihre dunkle Lockenpracht war ohne Zweifel weniger auffällig als dieser Stoff. Wir befestigten unsere persönlichen, mit Passbildern ausgestatteten ID-Kar ten auf der linken Brustseite an den Kitteln und waren bereit. Wären wir doch nur am Klinikum selbst angestellt gewesen und nicht am rechtsmedizinischen Institut. Das gehörte nämlich zur Süddänischen Universität, womit wir in der Klinik offiziell Fremde waren.
»Wenn Anne heute Dienst hat, ist das sicher kein Problem«, sagte Nkem und meinte damit
Abscheulia
– das war mein privater Kosename für ihre bestimmt kluge und nette Chorfreundin. »Die sieht so etwas nämlich lockerer, aber sie geht nicht ans Telefon.« Nkem stand in der Tür meines Büros und fingerte an ihrem Handy herum, während ich zur Sicherheit noch die Kopie der Obduktionsberichte in meine Tasche packte, es mir dann aber doch anders überlegte und sie wieder zurücklegte. Dann gingen wir.
Die Gegend rund um das Klinikum war wenig einladend. Die Gebäude waren niedrig und hässlich, von ihrer weißen Farbe war nicht mehr viel zu erkennen. Insbesondere die Notaufnahme machte einen kleinen, fast schon dürftigen Eindruck. Sie lag
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