Toter Mann
sie.
»Über alles«, sagte sie.
»Tut man das nicht immer? Schwirren einem nicht ständig tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf?« »Schon ...«
»Na also.«
Ja, na also. Trotzdem war es nicht so einfach. Aber das konnte sie ihm nicht sagen. Nicht jetzt. Sie wusste es ja selber nicht. »Sollen wir reingehen?«, fragte Halders.
»Ich möchte noch ein Weilchen draußen bleiben.«
»Dann bleiben wir noch für einen Moment hier«, sagte er.
Ich möchte allein sein, dachte sie. Aber ich weiß es nicht genau.
Nicht einmal das weiß ich.
»Manchmal ist diese Stadt schön«, sagte Halders. »Hm, ja.«
»Stell dir nur vor, wie viel sich hinter der hübschen Beleuchtung verbirgt.«
»So was geht dir also auch durch den Kopf.«
»Ja. Solche Gedanken haben auch noch Platz zwischen all den anderen tausend.«
»Weißt du, woran ich gedacht habe? Wenn wir vor zwanzig Jahren hier gestanden hätten, wären die Lichter dort unten die Lichter einer Kleinstadt gewesen«, sagte Aneta Djanali.
»Vor zwanzig Jahren war Göteborg eine Kleinstadt.« »Eigentlich stimmt das nicht.«
»Aber man hatte das Gefühl«, sagte Halders. »Warum?«
»Man kannte alle Kriminellen.«
»Das war vor meiner Zeit«, sagte Aneta Djanali.
»Wir haben immer eine gemeinsame Weihnachtsfeier organisiert.« »Aha.«
»Man knüpfte neue Kontakte«, sagte Halders. »Eben hast du noch gesagt, dass du alle kanntest.« »Dann eben fast alle.«
»Warum gibt es diese Tradition nicht mehr?« »Die Stadt ist größer geworden.«
»Konnte die Polizei nicht ein größeres Lokal finden, in dem ihr hättet feiern können?«»Welches denn?«
»Weiß ich nicht.« Sie deutete mit dem Kopf zur Stadt und den Lichtern hinunter. »Ullevi zum Beispiel.« Sie sah die hohen Scheinwerfer wie knotige Hände im gelbschwarzen Himmel. Die Scheinwerfer schienen das Einzige zu sein, das nicht leuchtete.
»Das Stadion hat kein Dach«, sagte Halders. »Würde zu kalt werden. Viele Kriminelle leiden an Allergien und erkälten sich so leicht.«
»Wusste ich noch gar nicht«, sagte Aneta Djanali. »Ist aber Tatsache.«
»Wieso?«
»Das spielt jetzt keine Rolle«, sagte Halders. »Ich mag keine Weihnachtsfeiern mehr. Und lege keinen Wert mehr auf diese Art von Gesellschaft.«
»Die hätte mir damals auch nicht gefallen«, sagte Aneta Djanali.
»Alles ist relativ«, sagte Halders. »Du hättest den Unterschied bemerkt. Er ist groß.« »Inwiefern?«
»Das weißt du genau.« »Du meinst Rauschgift?«
»Ja. Und die Banden, bei denen es in erster Linie auch um Rauschgift geht.«
»Um Heroin.«
»Vor allem um Heroin. Aber es ist nur die Spitze des Eisberges. Der Berg ist nämlich ziemlich hoch. Ein hoher weißer beschissener Berg.«
»Lass uns reingehen«, sagte Aneta Djanali. »Mir wird kalt.« Auch sie standen auf einer Anhöhe. Lunden lag relativ hoch über dem Meeresspiegel.
»Wenn du sagst, dass du mich liebst.« »Ich liebe dich, Fredrik.«
Man kann auf so viele verschiedene Weisen lieben, dachte sie, während sie ins Haus gingen.
Ihr Handy klingelte, als Halders die Verandatür hinter ihnen schloss.
»Ja?«
»Hallo, Aneta, hier ist Lars.« »Ja?«
» In eurer Gegend ist eben auf jemand geschossen worden.« » In unserer Gegend?«
Sie sah sich um, als wäre der Schuss hier im Haus abgegeben worden.
Halders sah sie fragend an.
»In Lunden. Ich dachte, dass ihr ... tja, ihr seid am nächsten. Nur ein paar Straßenzüge entfernt, wenn ich die Karte richtig gelesen habe. Allerdings seid ihr nicht im Dienst ...«
»Wie geht es dir, Lars?«
»Gut, nehme ich an. Warum fragst du?«
»Nur so.« Aneta Djanali warf einen Blick auf die Armbanduhr.
Es war zehn vor elf. »Wann ist es passiert?«
»Ich hab die Meldung gerade eben von der Zentrale bekommen. Ein Streifenwagen ist schon unterwegs, und ich dachte, dass du ...«
»Ich fahr los«, unterbrach ihn Aneta Djanali. »Ist Fredr. ..«
»Er muss bei den Kindern bleiben.« Sie sah Halders an. Seine Augenbrauen befanden sich jetzt fast in der Höhe, wo früher sein Haaransatz gewesen war. »Ist jemand verletzt?«
»Ich weiß es nicht. Sei vorsichtig. Ich mach mich jetzt auch auf den Weg.«
»Wie lautet die Adresse?« »Lovisagatan. Lovisagatan sechs.« »Die Lovisagatan kenne ich nicht.«
»Muss ganz in der Nähe sein«, sagte Bergenhem.
Halders hatte schon das Telefonbuch aufgeschlagen und blätterte in den Stadtplänen. Er sah auf.
»Die kenn ich doch! Eine gottverlassene Ecke.« »Fredrik kennt
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