Totgeburt
„Mach Platz für Caspar, du stinkendes Tier“, sagte er zum Spiegelbild. Er grinste, er hatte das Bedürfnis das tote Ding, das da stand, zu verhöhnen. Kein Wunder das Marie ständig über ihn lachen musste, sie sah wohl ein Stück zu leben erweckter Filmkulisse in ihm. Eigentlich war sie recht zurückhaltend gewesen und Dennis hatte es überhaupt nicht gekümmert. Würde ihm so etwas unter die Augen kommen, er würde gar nicht mehr aufhören, es zu schikanieren. Opfer. Zombie. Hackfresse.
Seine Nase sah nicht so schlimm aus wie angenommen. Sie tat nicht weh. Er griff nach ihr, knetete sie regelrecht. War die nicht mal gebrochen gewesen? Er war auf sie gefallen. Er steckte seinen kleinen Finger ins Nasenloch, bohrte darin und fand eingetrocknetes Blut. Da war noch mehr. Er musste sich gründlich waschen.
Bevor er den Raum verließ, blickte er noch einmal in die Kiste. Lauter SM Zeug. Haha, da war er ja richtig gut weggekommen, dachte er und ging.
Caspar ließ die Badewanne volllaufen. Das Wasser dampfte, als er eintauchte. Er spürte die Wärme nicht, doch damit hatte er sich bereits abgefunden. Heißes Wasser eignete sich trotzdem besser, um Blut und Dreck abzuwaschen. Alles eine Kopfsache, hatte Marie gesagt. Aber wenn er nicht warm und kalt unterscheiden konnte, musste er aufpassen, sich nicht zu verstümmeln. Körpereigenes Morphium, das so lange aktiv war, bis der Körper sich regeneriert hatte? Sein Blick fiel auf sein Glied. Der Arme war wirklich geschrumpft.
XVI
Neugierig verfolgte Caspar seinen Heilungsprozess. Schon Tage nach seiner Geburt waren die sichtbaren Male beseitigt: die dick-blauen Blutergüsse waren nicht mehr zu sehen, frische Haut hatte die zahllosen Kratzer, Schnitte und Abschürfungen überdeckt und das Fleisch, das Marie aus ihm herausgerissen hatte, war nachgewachsen. Nirgends eine Narbe. Am Ende strahlte ihm sein makelloses Spiegelbild entgegen, das Bildnis war eines Gottes würdig!
Er hätte zufrieden sein sollen, doch irgendetwas stimmte nicht und er wusste nicht recht, was es war. Er erkannte aber die Symptome, denn nach wie vor fehlten die Kraft, die Inspiration und der Wille, sein neues Leben anzutreten. Also untersuchte er seinen Körper abermals. Zentimeter für Zentimeter tastete er sich vor, die alten Wunden suchend, doch deren genaue Lage konnte er nur noch erahnen. Ratlos stand er vor dem Spiegel. Eine Kopfsache? Die Verdrahtungen im Hirn? Die Antwort genügte ihm nicht, also suchte er weiter.
Als er wiedereinmal seinen Rücken betrachten wollte, sprang ihm die Antwort förmlich ins Gesicht. Es war sein Ding! Es hing schlaff und leblos in der Luft, folgte apathisch den Bewegungen des restlichen Körpers. Was war los mit ihm? Caspar machte hektische Beckenbewegungen, woraufhin es auf und ab schwang und sprang und gegen die Beine und den Bauch klatschte. Es fühlte sich nicht taub an. Es fühlte sich einfach gar nicht an. Sollte es normalerweise nicht ein Eigenleben haben?
Da nahm er sein Glied in die Hand und drückte zu. Die Schmerzrezeptoren funktionierten wieder, stellte er fest und ließ los. Sebastian hatte sein Teil nie wirklich gebraucht und Marie hatte am Ende die Kontrolle darüber übernommen. Der Mann hatte eigentlich nur Zuneigung gesucht. Liebe? Seltsames Wort. An andere sexuelle Episoden des Menschen hatte Caspar keine Erinnerungen — oh doch, da war der Onkel gewesen und er hatte seinen Körper verkauft, dabei jedoch alles andere als Freude verspürt. Haha, Opfer!
War das Ding unter Sebastians Führung etwa eingegangen?
Sebastian hatte Angst davor gehabt, sich davor geekelt — aber er hatte ständig und vor allem Angst gehabt! Er war verrückt gewesen, erinnerte sich Caspar. Sebastian hatte keine Selbstachtung gehabt, Sebastian hatte die Welt nicht verstanden. Mit seiner eigenen Existenz nicht zurechtzukommen, das war … Caspar nahm es erneut in die Hand und dieses Mal mit mehr Gefühl, fast schon zärtlich. Das war das Ding, das fehlte, sagte ihm sein Instinkt. Der Schlüssel zu — allem.
Die Tage verstrichen ohne Anzeichen von Besserung und Caspar begann, sich große Sorgen zu machen. Was wenn sein Teil für immer schlaff bleiben würde? Er wollte doch nicht impotent sein!
Er hielt es nicht länger aus, allein mit seinen Sorgen zu sein und stellte Marie zur Rede. Sie hatte jedoch keine Antworten, die ihm zusagten. Unermüdlich fragte er sie nun, was mit ihm nicht stimme und sie antwortete sinngemäß und zunehmend gereizt, dass sie keine
Weitere Kostenlose Bücher