Totgeglaubt
“Außer dass Joe mich niemals am Leben gelassen hätte, denn ich hätte ihn ja erkennen können.” Als Clay sich ein Kissen in den Rücken schob, blitzte im hereinfallenden Sonnenlicht das Goldmedaillon auf, das er um den Hals trug.
Allie griff danach und schaute es sich an. Es war ihr schon in der Nacht aufgefallen, als Clay sich auf ihr bewegte, und sie hatte sich gefragt, was es wohl darstellte. “Ein katholisches Medaillon, oder?”
Er schien nicht sonderlich erpicht darauf, zu antworten.
“Clay?”
“Judas Thaddäus, der Apostel.”
“Bitte für uns”, las sie. Sie spürte seine Augen auf sich ruhen. “Judas Thaddäus ist der Schutzheilige der verzweifelten und hoffnungslosen Fälle, stimmt’s?”
“Keine Ahnung.”
Allie schaute zu ihm hoch. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie recht hatte. Sie hatte ein ähnliches Medaillon bei einem Mordopfer in Chicago gefunden. “Aber du bist nicht katholisch.”
Er blickte sie durch seine dichten Wimpern hindurch an. Sie hatte den Eindruck, als wollte er in sie hineinschauen und sie ergründen, wie am ersten Abend auf der Farm.
“Oder bist du katholisch?”
“Es gehörte meinem Vater.”
“Hat er es dir gegeben?”
“Nein, meine Mutter. Es war das Einzige, was er dagelassen hat.”
Dass Clay es immer noch trug, bewies Allie, dass die Verletzungen, die Lucas seinem kleinen Sohn zugefügt hatte, tatsächlich so tief waren, wie sie vermutete. Sie mochte kaum an die Qualen denken, die Clay durchgestanden hatte.
Sie legte das Medaillon zurück auf seine Brust und beeilte sich, seine Wunde zu verbinden. Sie wollte so schnell wie möglich Distanz zwischen sie beide bringen.
“Hast du irgendwelche Hinweise darauf gefunden, dass dein Vater eine Affäre hat?”, fragte er.
Allie spürte die Spannung zwischen ihnen, wusste aber nicht, wie sie sie abbauen konnte. “Nein, nichts. Zum Glück. Ich komme mir tatsächlich ziemlich blöd vor, dass ich ihm misstraut habe.”
Sie erwartete eigentlich, dass Clay irgendeine positive Bemerkung dazu machen würde, eine Bemerkung, die zeigte, dass er sich mit ihr freute. Das hätte wohl jeder andere an seiner Stelle gemacht. Aber wie sooft blieben seine Gedanken ein Geheimnis.
Als sie mit dem Verbinden fertig war, trat sie ein paar Schritte zurück. “Alles okay mit dir?”
Er hielt ihren Blick fest. “Ich weiß nicht.”
Er sprach nicht über die Wunde, das war ihr klar. Im Übrigen wusste sie selbst auch nicht, ob mit ihr alles okay war. Neben dem bloßen Sex, der körperlichen Vereinigung, war letzte Nacht irgendetwas geschehen, das sie beide berührte.
Jetzt wandte sich Clay seiner Wunde zu und versuchte, den Arm zu drehen, um die hintere Seite anschauen zu können. Er unterdrückte einen Fluch.
“Lass das lieber”, warnte sie. “Es fängt sonst wieder an zu bluten.”
“Ist schon okay.”
Sie zog das Laken fester um sich. “Was hat dich gestern Abend hierhergeführt?”
“Was glaubst du?”
“Hat dich irgendjemand angerufen und dir gesagt, ich sei in Schwierigkeiten? Oder bist du aufgefordert worden, irgendjemanden hier zu treffen?”
“Nein.”
Verwirrt runzelte sie die Stirn. Wie sonst hatte der Schütze Clay an diesen entlegenen Ort gelockt? “Warum bist du dann gekommen?”
Er sah sie ruhig an. “Da fragst du noch?”
“Sag’s mir.”
“
Du
warst hier.”
Allie musterte ihn aufmerksam, versuchte, sich jedes Detail seines Körpers einzuprägen.
Als er ihren bewundernden Blick bemerkte, streckte er einladend seine Hand nach ihr aus.
Allie versuchte, zu widerstehen, aber sie konnte nicht. Auch sie streckte einen Arm aus und umschlang seine Finger mit ihren. Dann zog er sie zu sich heran und begann, sie aus dem Bettuch zu wickeln.
Diesmal ließ sie ihn gewähren. Aber als das Laken zu Boden fiel, schloss sie die Augen. Sie hörte das Bett knarzen. Clay hatte sich vorgebeugt, und sie spürte, wie er mit seinen Lippen an ihrem Schlüsselbein entlangwanderte und sanft ihre Brüste liebkoste, leicht wie ein Schmetterling.
“Clay …”
Er zog sie in seine Arme, bettete sie auf dem Rücken. Diesmal begegnete er ihr anders als gestern Nacht, als er sie mit so viel Ungestüm und entfesselter Begierde geliebt hatte. Diesmal berührte Clay sie mit so viel Ehrfurcht, wie sie es noch nie erlebt hatte.
Hingebungsvoll betrachtete er ihren Körper, den zu zeigen sie sich so gescheut hatte.
“Perfekt”, flüsterte er, während seine Hände seinen Augen auf ihrer Wanderung folgten.
Weitere Kostenlose Bücher