Totgekuesste leben laenger
entdeckt hatte.
Josh und ich hatten abgemacht, einander die ganze Nacht SMS zu schreiben. Als nach zwei Uhr keine Nachrichten mehr von ihm kamen, hatte ich mich rausgeschlichen, um nachzusehen, ob bei ihm alles in Ordnung war. Er war bloß eingeschlafen, aber dafür war ich jetzt steif gefroren, nass vom Tau und akut hausarrestgefährdet.
Normalerweise verbrachte ich die dunklen Stunden, in denen alle anderen schliefen, im Internet oder mit Barnabas auf dem Dach. Doch ich hatte es nicht verlernt, mich aus dem Haus zu schleichen. Mindestens einmal in der Woche machte ich mich auf, um in der Dunkelheit umherzuwandern und mir vorzumachen, ich könnte Barnabas und der Langeweile gleichermaßen entgehen.
Als keine SMS mehr von Josh kam, war es also kein Kunststück gewesen, mich davonzustehlen. Es kreisten zwar keine Schwarzflügel über seinem Haus, aber trotzdem konnte ich mich nicht überwinden zu gehen. Den Rest der Nacht hatte ich hinter einem Baum gestanden, mich mit Grace unterhalten und mein Bestes getan, mir nicht wie eine Stalkerin vorzukommen. Es gefiel mir gar nicht, nachts abzuhauen und meinen Dad zu belügen, aber schließlich hatte ich keine andere Wahl.
Der Nachbarshund bellte mich an. Schnell griff ich hinter die Gartenlampe, wo ich letzte Woche ein paar Leckerlis versteckt hatte, um mir sein Schweigen zu erkaufen. Als er kurz darauf glücklich schwanzwedelnd vor mir stand, kletterte ich vorsichtig auf die silberne Mülltonne, die ich extra an dieser Stelle platziert hatte. Mit einer Hand hielt ich mich am Fensterbrett der Garage fest, die andere streckte ich nach dem niedrigen Dach aus. Dann setzte ich einen Fuß auf das Fensterbrett, um das andere Bein hochzuschwingen und schließlich bäuchlings auf den Dachziegeln zu landen. Zufrieden setzte ich mich auf und klopfte mir den Dreck ab, während der Golden Retriever hechelnd um einen Nachschlag bettelte. »Madison, du hast's immer noch drauf«, flüsterte ich und lächelte. Mit einer ähnlichen Aktion hatte ich mir die Zwangsverschickung zu Dad eingehandelt. Entweder Three Rivers, hatte meine Mom gesagt, oder sie würde meine Fenster vergittern lassen. Geduckt krabbelte ich zur Spitze des Garagendachs und ignorierte dabei den einsamen Schwarzflügel, der ziellos am Horizont umherschwirrte. Langsam ließ ich mich auf den Bauch sinken und spähte über den Rand des Dachs. Mrs Walsh saß mit Lockenwicklern im Haar an ihrem Küchentisch und las die Zeitung. »Da bist du ja, du alte Schreckschraube«, raunte ich. Im Ernst, die Frau lauerte nur darauf, mich bei irgendwas zu erwischen. Sie erinnerte mich an die gelangweilten Damen mittleren Alters, zu denen ich beim Mittagessen immer hatte nett sein müssen, wenn meine Mom wieder versuchte, Geld für einen ihrer vielen guten Zwecke einzutreiben. Irgendwie vermisste ich die steifen Teekränzchen sogar - und die unvermeidlichen Kämpfe davor wegen meiner neuesten Haarfarbe oder einem Abzieh-Tattoo, das ich sorgsam so aufgeklebt hatte, dass man es zwischen all den Brave-Mädchen-Klamotten auch sah. Meine Mom parfümiert, gestriegelt und charmant plaudernd dort sitzen zu sehen, während ich genau wusste, dass sie diese knickerigen Ziegen am liebsten für ihre Engstirnigkeit erwürgt hätte, war immer ziemlich lustig gewesen. Vielleicht war ich ihr doch ähnlicher, als ich dachte.
Ein Lächeln umspielte meine Mundwinkel, als ich an meine Mom dachte. Wir hatten gestern Abend noch telefoniert, sie hatte angerufen, um zu hören, ob bei mir alles in Ordnung war. Es war erstaunlich, ihr Problem-Radar funktionierte sogar über meilenweite Entfernungen. Ehrlich, ich hatte keinen Schimmer, wie sie das machte.
Ich rollte mich auf die Seite, zwängte meine Finger in die Hosentasche und zog mein Handy heraus. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer, als ich Joshs SMS las. Er war wach - was ich schon wusste, da ich noch vorseinem Haus gewesen war, als sein Wecker geklingelt hatte - und würde in einer halben Stunde hier sein. Ich schickte noch schnell ein »Bis gleich« zurück und drückte dann Kurzwahl drei. Sekunden später hörte ich es leise klingeln und Mrs Walsh erhob sich und verschwand weiter hinten im Haus. Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.
In dem Moment, als sie mir den Rücken zuwandte, klappte ich das Handy zu. Mit der Melodie von Mission Impossible auf den Lippen stand ich auf, rutschte auf der auf der anderen Seite hinunter und hüpfte ohne große Anstrengung auf das Dach über meinem Zimmer.
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