Totgekuesste leben laenger
Hastig drückte ich von oben das Fliegengitter aus dem Rahmen und ließ es langsam auf den Teppich sinken. Dann setzte ich mich auf die Fensterbank, zog die Schuhe aus und schlüpfte ins Zimmer. Ich durfte keine verräterischen Spuren auf dem Teppich hinterlassen. Das hatte ich auf die harte Tour lernen müssen, nachdem mein sandiger Bettvorleger mir nach einem nächtlichen Strandspaziergang in Florida eine Woche Hausarrest eingebrockt hatte.
Mein Lächeln verblasste allerdings, als ich das vertraute Plätschern von Dads Dusche hörte und den Kaffeeduft roch, der sich im Haus verbreitete. »Na toll«, flüsterte ich. Ich hatte keine Ahnung, ob Dad vor dem Duschen noch bei mir hereingeschaut hatte, um sicherzugehen, dass ich aufgestanden war. Aus Erfahrung wusste ich, dass Kissen unter der Decke nichts taugten. Also hatte ich das Bett ungemacht gelassen und gehofft, dass er dann denken würde, ich wäre in meinem eigenen Badezimmer. Besorgt und mit zitternden Fingern setzte ich das Fliegengitter wieder ein. Ich hätte Josh einfach Grace überlassen und früher gehen sollen. Ich hasste es, wenn ich zu spät kam. Langsam wurde ich nachlässig. Ich glaubte zwar eigentlich, dass Dad mich angerufen hätte, aber sicher war ich mir nicht. Vielleicht wollte er zuerst sehen, wie tief ich mich in den Schlamassel ritt, bevor er mich zum Geständnis zwang. Er war zwar gelassener als Mom, aber er hatte etwas Listiges an sich. Das hatte ich wohl von ihm geerbt.
Von ihrem Foto am Spiegel grinste meine Mom mich spöttisch an. Ich drehte es um. Mit schnellen Bewegungen schälte ich mich aus den Klamotten vom Vortag und sprang unter die Dusche, um die Kühle der Nacht loszuwerden. Heute musste ich mir Kairos neues Amulett schnappen. Ich hatte keine Zeit, darauf zu warten, dass Ron oder Barnabas mich retteten. Schließlich war es nur eine Frage der Zeit, bis Kairos Josh oder mich durch simples Ausschlussverfahren erwischte. Und noch so eine Nacht wie die, die ich gerade durchgemacht hatte, würde ich nicht überstehen. Ich hatte echt keine Ahnung, wie Barnabas und Grace das durchhielten.
Erfrischt von der kurzen Planscherei, trocknete ich mich ab und warf mir ein paar Kleider über: eine gelbe Strumpfhose, um die langsam verblassende Schürfwunde von der Matte auf dem Boot zu verdecken, einen kurzen lila Rock und ein passendes T-Shirt über einem schwarzen Spaghettiträgertop. Meine Sneakers waren immer noch feucht, aber ich wischte die Sohlen ab und zog sie trotzdem an, in der Hoffnung, meinem Dad wurde es nicht auffallen. Es war ja nicht so, als könnte ich irgendwelche anderen Schuhe anziehen. Die hier waren einfach wie für dieses Outfit gemacht. Und wenn Amy daran was auszusetzen hatte, konnte sie von mir aus an meiner Individualität ersticken. Das war eben ich und ich hatte keine Lust mehr, mich ständig anzupassen. Außerdem gefielen Josh meine lila Haare.
Zufrieden mit mir selbst, lehnte ich mich übers Bett und angelte nach meiner Kamera. Mir blieben noch ungefähr fünf Minuten, bis Josh hier sein würde. Zeit genug, um Wendy ein Foto zu schicken. Sie hatte mir gestern Nacht eine Mail mit einem Bild von sich und meinem Exfreund am Strand bei Sonnenuntergang geschickt. Die beiden passten gut zusammen, und nachdem meine Wut verraucht war, hatte ich eingesehen, dass es an der Zeit war, loszulassen. Ich hatte mich an alten Zeiten festgeklammert, aber so was hatte einfach keinen Zweck. Das war Vergangenheit. Ich schrieb E-Mails an die Vergangenheit und versuchte, sie zu meiner Zukunft zu machen, obwohl die ganz woanders lag. Aber das hieß ja nicht, dass ich sie nicht mit meiner gelben Strumpfhose so richtig schön neidisch machen konnte.
Ich stand auf und strich meinen Rock glatt. Hoffentlich würde es heute wirklich so warm werden, wie der Himmel versprach. Die Kamera vor mir ausgestreckt, nahm ich eine Kung-Fu-Pose ein und bewegte den Arm, bis der Spiegel über meiner Kommode mir zeigte, dass ich mich im Sucher befand. Doch mein Bett war leider auch im Bild und das war immer noch ein einziges, sorgfältig arrangiertes Chaos. Seufzend ließ ich die Kamera wieder sinken und machte erst einmal mein Bett.
Den Vampirteddy, den Wendy mir geschenkt hatte, setzte ich auf den Ehrenplatz zwischen die Spitzenkissen, von denen mein Dad wohl gedacht hatte, dass sie mir gefallen würden. Das ganze Zimmer hatte nichts mit meiner dunklen Höhle bei Mom gemeinsam. Die weiße, mit Rosenknospen verzierte Kommode war einfach nicht mein Fall.
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