Totgelebt (German Edition)
frustrierend. Die Karte mit dem Bibelzitat, war definitiv nicht mit dem Drucker geschrieben worden, der bei Lotte Jansen zu Hause gefunden worden war. Ratlos legte sie auf und legte zur Abwechslung auch mal die Füße auf den Schreibtisch. Sie verharrte dort so lange, bis zaghaft an die Türe klopfte wurde.
Erik Jansen las immer und immer wieder die Geschichte in der Tageszeitung. Er hatte die Samstags- und die Montagsausgabe fein säuberlich übereinander gelegt und konnte seine Augen nicht von dem Bild seiner toten Schwester nehmen. Irgendeinem Fotographen war es gelungen, von Weitem eine grobkörnige, unscharfe Aufnahme von Lotte zu schießen. Er glaubte, dass er auf dem Bild den zerschossenen Schädel erkennen konnte, er glaubte sogar, dass er Gehirnmasse neben dem Schädel sehen konnte. Er nahm eine Lupe zu Hand, doch die brachte ihm nichts, sie machte das ganze nur unschärfer. Seine Mutter hatte ihm Samstag früh die Zeitung aus der Hand gerissen und diese sofort weggeschmissen. „Ich will darüber nichts lesen“, hatte sie ihn nur angeschri en . Und dann hatte sie wieder angefangen zu heulen. Als ob sie sich vorher um uns gekümmert hat. Vermutlich wird ihr erst jetzt bewusst, was sie alles falsch gemacht hat. Kein Wunder, dass Dad es bei ihr nicht mehr ausgehalten hat. Wenn sie nicht immer so schrecklich beschäftigt mit ihren eigenen Sachen wäre, würde sie vielleicht auch mal einen Blick auf uns werfen. Blöde Kuh. Am besten wäre es, wenn du dir auch direkt das Leben nimmst, dann kann ich wenigstens mal atmen, bekomme wieder Luft. Und du wirst vermutlich nicht einmal klug daraus, du weißt wahrscheinlich nicht einmal, warum Lotte das getan hat. Du machst dir deswegen doch bestimmt nicht mal Gedanken. Das ist dir doch alles scheißegal. Hauptsache, dir geht es gut. Hauptsache du hast genug Schnaps im Haus. Er schluckte. Nee, heulen wollte er nicht, würde er auch nicht. Er nicht, er schluckte n och ein mal, blinzelte zweimal und der Druck im Hals war weg. Er schaute erneut auf das Bild hinunter. Heute war Lotte nicht mehr auf der Titelseite, denn es gab schon wieder wichtigere Themen, die auf die Seite eins drängten. Samstag, da war Lotte das Highlight des Tages. Da es jedoch nur ein langweiliger Selbstmord war, war sie am zweiten Tag nur noch eine schmale Spalte im hinteren Teil der Zeitung wert. „Toll, klasse, bestens“, Wut keimte in ihm auf. „Jetzt bekomme ich das ganze Gezeter der alten Schlampe alleine ab, du hast dich ja aus dem Staub gemacht.“ Am liebsten würde er einfach zuschlagen, mitten in ihr Gesicht, immer wieder rein, wenn sie besoffen auf dem Sofa liegt, sie würde es ja nicht einmal merken. Aber bisher konnte er sich immer noch beherrschen. Aber jetzt wurde alles noch viel schlimmer, jetzt musste er alles allein ertragen. „Hast dich ja einfach verpisst. Einfach so. Hast es dir verdammt leicht gemacht. Aber ich weiß Bescheid, ich weiß alles.“
Max versuchte wieder verzweifelt, einen Parkplatz an der Uni zu ergattern. Dieses Mal gelang ihm das Unterfangen bereits bei der zwei ten Umrundung des Parkplatzes. Geschafft, sagte er zu sich selbst und stieg aus dem Auto aus. Eine junge Studentin kam ihm entgegen, er grinste sie an. Sie grinste zurück. Dabei fiel ihm Klara ein. Er hatte doch tatsächlich vergessen, sie zurückzurufen. Ein deutliches Zeichen, sagte er sich. Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich sollte das einfach so im Sande verlaufen lassen, mich nicht mehr melden, das wäre es dann. Besser und leichter als i hr i n endlosen Diskussionen die Situation zu erklären. Du feiger Hund, sagte er zu sich selber.
Dieses Mal hatte er Glück. Er traf den Übungsleiter in seinem Zimmer an. E r saß dem jungen Mann, der deutlich jünger war als er selbst, in seinem Zimmer gegenüber. Er schilderte kurz die Sachlage und warum er gerade auf ihn gekommen war. Er erklärte, dass Lotte Jansen tot sei und er deshalb ermitteln müsse. Der Uni-Angestellte starrte ihn ungläubig an. Er fragte nach den näheren Umständen. Max erklärte kurz und knapp die Fakten. Dann folgte ein Redeschwall des Mitarbeiters:
„Ja, Frau Jansen besuchte seine Übung, die als Vorlesungs-Begleitung wöchentlich stattfand. Aber ehrlich gesagt ist sie mir nicht besonders in Erinnerung geblieben. Sie war auch zwei, drei Mal in meiner Sprechstunde, weil sie einen Schein beim Professor machen wollte. Sie war Durchschnitt, hätte ihr Studium geschafft, ohne Zweifel, aber sie war zu faul. Sie erschien
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