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Totgelebt (German Edition)

Totgelebt (German Edition)

Titel: Totgelebt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Hagemann
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ihm einfach nicht geholfen. Sie hatte ihm auch nicht geglaubt, dass ihn jeder in diesem Hause hasste. Er müsse sich halt auch ein bisschen integrieren, sagte sie. Jeder muss mithelfen, damit ein Zusammenleben funktioniert. Auch sie war zuerst gegen Charly gewesen, doch sie hatte, wie all die anderen verstanden, dass er in diesem Punkt nicht aufgeben würde. Später hatte er gar nicht mehr versucht, mit Susann zu reden, wenn sie ihn fragte, ob alles in Ordnung sei, nickte er nur und sagte gar nichts mehr. Und sie hakte nie nach. Für sie war die Welt in Ordnung. Leon kauerte sich in seinem Bett zusammen. Angestrengt dachte er nach, ob er noch irgendwas erledigen müsse, sich von irgendjemandem verabschieden müsse. Ihm fiel nichts ein. Es klopfte. Susann betrat leise das Zimmer.
    „Ich habe gehört, dass es dir nicht gut geht. Bist du krank?“, fragte sie, klang aber nicht besonders besorgt.
    „Es geht schon wieder. Ich bleibe einfach im Bett und morgen ist vermutlich alles wieder normal.“, gab er zurück und machte ihr deutlich, dass er lieber alleine sein wollte. Deshalb nickte sie nur und zog die Türe leise hinter sich. Leon war wieder allein und begann auf die Uhr zu starren. Er hatte noch genau drei Stunden Zeit, drei Stunden, die er totschlagen musste.
    Dann war es endlich soweit. Er zog sich schnell an, putzte sich die Zähne und wusch sich das Gesicht . Dann hob er seine Tasche vom Boden auf und hängte sie sich überkreuz über seine Schulter, damit sie nicht runterrutschen konnte. Leise öffnete er das Fenster. Das hatte er schon hundert Mal gemacht, er war abends aus dem Fenster hinaus gestiegen und am Morgen wieder auf demselben Weg in sein Zimmer zurückgekehrt. Doch dieses Mal gab es kein Zurück. Er warf einen letzten Blick über die Schulter. Er war sich ganz sicher, zweifelte nicht eine Sekunde. Er fühlte sich gut. Er hatte ihm gesagt, es werde alles gut, darauf vertraute er nun. Dann stieg er lautlos aus dem Fenster. Er schaute nach oben, einige Fenster waren noch beleuchtet, doch niemand schien ihn gehört zu haben. Er zog das Fenster zu und schaute auf die Uhr. Er musste sich beeilen. Der letzte Bus fuhr in genau fünf Minuten. Den durfte er nicht verpassen. Er beeilte sich, umklammerte seine Tasche und begann zu rennen. Außer Atem sah er von weitem die erleuchtete Bushaltestelle und den herannahenden Bus. Er steigerte sein Tempo. Der Bus hielt an und er sprang hinein. Er kaufte sich ein Ticket und setzte sich ganz nach hinten. Der Bus war so gut wie leer, außer ihm saßen nur noch drei weitere Mitfahrer im Bus. Er atmete tief durch, versuchte Luft zu bekommen. Er hatte Seitenstiche. Er rutsche ganz tief in den Sitz hinein und umklammerte seine Tasche. Er verspürte keine Angst. Im Gegenteil, er hatte sich selten so ruhig gefühlt. Nach genau neun Haltestellen verließ er den Bus durch d en hintere n Ausgang . Inzwischen war er ganz alleine im Bus. Er schaute wieder auf seine Uhr. Viertel vor zwölf war es nun. Er hatte Zeit, er konnte langsam laufen. Von weitem sah er den Rand des Waldes. Er wusste nur in etwa, wo er ihn treffen sollte. Er war vorher noch nie in diesem Wald gewesen , er war nur ein mal an dem Waldesrand vorbei gelaufen. A ber er hatte ihm alles genau beschrieben. Er sah den Weg, der ins Dunkle hinein führte. Er folgte dem Weg, bis alles um ihn herum Schwarz war. Er nahm seine Umgebung nur schemenhaft wahr. Hin und wieder gab es eine Laterne, die ihm etwas Orientierung bot. Um genau fünf vor zwölf sah er von weitem die kleine Lichtung, die er ihm beschrieben hatte. Das musste es sein. Er sah sich um, konnte aber außer ihm selbst niemanden entdeck en . Ob er ihn verarscht hatte, so wie alle anderen auch ? Nun wurde ihm etwas flau. Was, wenn er ihm gar nicht helfen wollte, wenn er ihn stattdessen auch im Stich lassen würde, oder noch schlimmer, wenn er ihn hinterrücks überfallen würde. Er schaute sich gehetzt um und nahm nun einen Schatten wahr, der sich von einem Baum löste. Die Gestalt kam auf ihn zu. Ganz still blieb er stehen, er verharrte. Was konnte er jetzt noch tun. Er musste auf sein Gefühl vertrauen.
    „Leon?“, hörte er eine dunkle Männerstimme leise fragen. Ganz unwirklich klang das für Leon. Er bekam kaum noch Luft. Konnte kaum antworten.
    „Ja, ich bin Leon.“
    „Ich habe dich erwartet.“
    Viel mehr sagte der Mann nicht. Leon konnte das Gesicht des Mannes nicht erkennen. Er hatte seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen.
    „Möchtest du es

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