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Totgelebt (German Edition)

Totgelebt (German Edition)

Titel: Totgelebt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Hagemann
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Schrecken verloren, hier sehnte man den Tod herbei, er war allgegenwärtig. Wer hier im Forum nach Gleichgesinnten suchte, wollte sterben. Hier suchte niemand mehr nach Hilfe, mit dem Leben hatten bereits alle abgeschlossen, hier war man auf der Suche , wie dem Leben endlich ein E nde gesetzt werden konnte.
    Nach einer Stunde verabschiedete sich Handke in den Feierabend. Max starrte weiter stumm auf den PC. Mittlerweile war Emma16 schon drei Stunden Gast im Selbstmord-Forum und beobachtete wie neue Teilnehmer hinzukamen, einige sich verabschiedeten, manche wiederkamen, fast wie im Straßencafé um die Ecke. Viele kannten sich bereits, die meisten Besucher waren Stammgäste. Sie begrüßten sich wie gute alte Freunde. Es gab Wortführer, Stammposter, Gelegenheitsbesucher, Schweiger – alle Facetten des normalen Lebens. Mit dem Unterschied, dass es hier nicht um das Leben ging, sondern um den Tod. Wäre der Anlass nicht so deprimierend gewesen, hätte man glauben können, hier findet ein netter Abendplausch statt, ein Treffen junger Leute, um sich die Zeit zu vertreiben. Jeder, der neu ins Forum eintrat, wurde von der Runde freundlich begrüßt, jeder der die Runde verließ, verabschiedete sich, vielleicht für immer. Das Verstörende waren die Themen: Es wurden Selbsttötungsmethoden diskutiert, insbesondere darüber, welches der einfachste Weg ist, sich das Leben zu nehmen.
    Gegen 23.00 Uhr waren außer Emma16 nur noch vier andere Besucher im Forum zu Gast: Lil, JustSad, ToBi und Specter. Specter war so etwas wie der Wortführer. Er reagierte auf alle Anfragen und leitete die Diskussion. ToBi war der Zyniker un ter den Forumsteilnehmern, zynisch reagierte er auf jede Frage , auf jede Anmerkung mit einem bissigen Kommentar. JustSad war heute ebenfalls neu ins Forum hinzugekommen, sie hielt sich bisher noch schüchtern zurück und Lil war auch erst seit kurzer Zeit im Forum, aber wohl schon recht aktiv. Sie suchte nach der richtigen Methode, sich umzubringen, sie fragte im Forum nach einer Anleitung, wie sie ihren Tod am besten und schnellsten hinter sich bringen konnte. Von ToBi bekam sie dazu die Todes-Formel mit auf den Weg, nach der sich jede Todesart hinsichtlich Wirksamkeit, Dauer und Schmerz vergl e ichen lässt. Die Empfehlung geh e ganz klar zugunsten einer Selbsttötung durch Gift.
    Max rieb sich noch einmal die Augen, trank einen Schluck von dem inzwischen kalten Kaffee und räusperte sich. „Ich denke, ich werde mich jetzt auch zurückziehen und ausloggen. Fürs erste war das in Ordnung, denke ich.“. Heute sollte sich Emma16 nur vorstellen, sich anbieten, auf sich aufmerksam machen - mehr nicht. Das hatte sie getan. Der Kollege nickte ihm zu, er konnte es bestimmt auch kaum erwarten bis er gegen Mitternacht durch einen anderen Kollegen abgelöst würde.
    Max verabschiedete sich aus dem Forum und kündigte direkt an, dass Emma16 wieder kommen würde. Dann loggte er sich aus. Heute war der Täter nicht anwesend gewesen, da war er sich ganz sicher. Er starrte noch eine Minuten auf den dunklen Bildschirm, stand auf, zog seine Jacke an, nahm seine Tasche unter den Arm, nickte dem Kollegen noch mal zu und verließ den Raum. Das reicht für heute, dachte sich Max. Er fühlte eine Traurigkeit, eine Ar t Hilflosigkeit und Unfähigkeit . Am liebsten würde er diese Kinder nehmen und schütteln, sie wachrütteln, ihnen zeigen, wie schön das Leben sein kann, wenn man es zulässt. Normalerweise konnte er seine Arbeit ganz gut hinter sich lassen, wenn er Feierabend hatte, dann war sein Kopf wieder frei. Dieser Fall beherrschte aber auch jetzt noch seine Gedanken, ließ ihm keinen Platz für etwas anderes. Die ganze Geschichte nahm ihn mehr mit, als er zunächst angenommen hatte. Jeder einzelne der heute Abend in diesem Forum war, plante sich das eigene Leben zu nehmen. Jeder von ihnen konnte Morgen schon tot sein. Im Forum fielen Namen, die sich selbst umgebracht hatten, sie wurden wie Helden heroisch gefeiert. Sie hatten es geschafft, sie hatten das Ziel erreicht.
     
    Als Max zu Hause ankam, nahm er zu erst eine heiße Dusche. Er ließ sich das heiße Wasser lange über den Rücken laufen, er drehte das Wasser so heiß, wie er es gerade eben aushalten konnte. Er versuchte die ganzen Gedanken und Wortfetzen, die in seinem Kopf schwirrten, aus seinem Schädel raus zu brennen. Er wollte die letzten Stunden auslöschen, jeden Gedanken daran verdrängen und nie wieder das Wort Tod hören. Doch immer wieder dröhnten

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