Totgelebt (German Edition)
Sie hätte es auch selber hinbekommen, sie wusste nur nicht so recht wie. Sie wollte sich eine Art Anleitung im Netz holen, wollte wissen, wie man es am besten macht, wie e s am schnellsten geht, was am wenigsten weh tut, sie wollte es so schnell wie möglich, und, wenn sie ehrlich war, so schmerzlos wie möglich schaffen. Sie wollte nur weg hier, raus aus dieser verdammten Welt, sie wollte nicht leiden, sie war ja keine Masochistin. Wenn sie leiden wollte, könnte sie hier bleiben in dieser beschissenen Welt, das würde ihr an Leid und Schmerz reichen. Und dann war sie hängen geblieben in diesem Forum, sie wollte nur mal reinschauen, sich die beste Methode und den Weg erklären lassen und dann wieder raus und dann endlich, endlich den letzten Schritt gehen. D ann war sie hier hängen geblieben. Sie hatte das Gefühl eine echte Gemeinschaft getroffen zu haben, alle hatten den gleichen Wunsch, das gleich e Bedürfnis und das gleiche Ziel. Hier waren Gleichgesinnte, die ihre Gefühle, ihr Bedürfnis nach Tod verstanden und genauso fühlten und die gleiche Angst vor dem letzten Schritt hatten, aber auch die gleiche Sehnsucht es endlich zu tun. Seit einem Jahr hatte sie den intensiven Wunsch diesem schrecklichen Leben ein Ende zu setzen, einfach allem entfliehen, und es war auch absolut keine Besserung in Sicht. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Schlimmer und schlimme r. Sie wusste, sie musste bald h andeln, viel länger würde sie das alles nicht mehr aush alten. Mit ihrer Mu tter konnte sie nicht mehr rede n. Diese hatte sie auch verlassen und verraten. Warum lässt sie das alles zu? Seit er hier eingezogen ist, ist alles anders. Er tut was er will, wann er will. Sie hatte keine Chance gegen ihn. Und ihre Mutter tat nichts dagegen, absolut nichts. Sie musste doch sehen, wie schlecht es ihr ging. Tränen stiegen in ihr auf, aber sie schluckte so lang, bis sie nicht mehr weinen musste. Keine Träne würde sie seinetwegen weinen. Sie zuckte zusammen, sie glaubte ein Geräusch in der Wohnung gehört zu haben. Panik stieg in ihr auf, sie hielt die Luft an, verhielt sich ganz ruhig, bewegte sich nicht und horchte. Nein, bitte nicht, bitte mach dass er noch nicht nach Hause gekommen ist. Bitte, bitte, beschwörend murmelt e sie die Worte vor sich hin, schloss die Augen und zählte leise von zehn abwärts. Dann horchte sie wieder. Alles blieb still. Falscher Alarm, sagte sie zu sich selbst, atmete heftig aus und entspannte sich ein bisschen. Jetzt schaute sie wieder auf den Monitor. Immer noch nichts, er hatte es versprochen. Er hat te versprochen ihr zu helfen. Wenn er ihr nicht helfen würde, wusste sie nicht mehr weiter. Was dann? Dann ziehe ich es alleine durch, egal was kommt. Dann mach ich es irgendwie. Ich kann mich auch vor einen Zug werfen, oder vor ein Auto. Sie starrte wieder auf den Bildschirm. Aber sie woll t e auch keine anderen Menschen mit hinein ziehen. Sie wollte nicht, dass ein anderer Mensch für immer ein schlechtes Gewissen haben würde, weil er glaubte, schuld an ihrem Tod zu sein. Deshalb war die Lösung perfekt, an die sie bis heute Abend geglaubt hatte, in die sie alle Hoffnungen setze, auf die sie baute. Er hatte es versprochen. Drei Jahre lang hatte sie alles ausgehalten, hatte stumm alles über sich ergehen lassen. Er hatte ihr gedroht, er würde ihrer Mutter alles erzählen, erzählen, dass sie ihn anmachte, es sei ja schließlich ihre Schuld . O b sie ihre Mutter leiden sehen wollte, hatte er sie gefragt. Und was ist schon dabei, es gefällt dir doch, du Schlampe, hatte er ihr gesagt, ich sehe, wie du mich immer anguckst. War das wirklich erst drei Jahre her? Ihr kam es vor wie eine Ewigkeit, als ob es schon ihr ganzes Leben so gehen würde. Wie oft war er in ihr Zimmer gekommen, sie konnte es gar nicht mehr zählen, sie wollte es auch nicht zählen. Immer wenn ihre Mutter Nachtschicht hat, kam er nach einiger Zeit in ihr Zimmer, ohne zu klopfen, einfach so, plötzlich steht er in ihrem Zimmer, neben ihrem Bett. Auch wenn sie sich schlafend stellte, ändert das nichts. Das macht ihm nichts aus, hindert ihn nicht, er legt sich dann einfach zu ihr ins Bett, immer. Zu Anfang hatte er sie nur angefasst, berührt, mehr nicht, den Rest hatte er bei sich selbst erledigt, da war sie zwölf gewesen. Hinterher musste sie immer weinen, da hat er sie geschlagen, es würde keinen Grund geben zu weinen. Sie solle sich freuen, dass er sie so lieb habe. Er hätte sie so lieb, dass er sie immer streicheln
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