Totgelesen (German Edition)
Wie hat sich Herr Nußbaumer benommen?«
Als Astrid durch die Tür verschwand, schnaubte Edith verächtlich, bevor sie zu erzählen begann:
»Schon lange hat sie mich damit genervt, sie und ihren Rupert mal zu begleiten. Da habe ich mich halt breitschlagen lassen, weil er auch mit war. Ich habe ihn vorher schon mal gesehen, als er ins Büro kam, um Rupert abzuholen. Naja, er sieht nicht schlecht aus und Astrid sagt mir immer wieder, wie selten ich ... Sie wissen schon. Also bin ich halt mit. Rupert ist in Wirklichkeit gar nicht so ein Schwein, wie er immer tut. Der Abend war nett. Alfred auch.« Ihr Blick wanderte die Lkw-Anhänger entlang und verfing sich irgendwo in der Vergangenheit. »Wir haben mit Wein und Bier angefangen, sind dann aber auf Bacardi umgestiegen. Ich musste mir Mut machen, deshalb habe ich auch mitgetrunken, dann sind wir zu ihnen heim. Den Rest kennen Sie ja. Der Morgen danach war mit Sicherheit ernüchternd genug, um so etwas nie wieder zu tun.«
Die Vergangenheit war beendet, sie blickte Specht wieder direkt in die Augen. Doch der war noch lange nicht fertig mit seinen Fragen.
»Worüber haben Sie sich unterhalten?«
»Über dieses und jenes. Alfred hat viel von seinen Kindern erzählt und wie sehr er sie liebt.« Bei dieser Erinnerung zeigte sich das erste Mal ein Lächeln auf Ediths Lippen. »Dann hat er davon geredet, dass er wieder einmal eine feste Partnerschaft anstrebt. Er sagte so etwas wie: »Ich bin kein Typ für One-Night-Stands.«
»Hat er von anderen Frauen gesprochen?«
»Nein, nicht direkt. Ich hatte nur das Gefühl, es gebe da jemanden. Eine Frau, mit der er vor kurzem länger zusammen war.«
»Wie kommen Sie darauf?« Spechts Fingerspitzen kribbelten.
»Er sagte: < Vor kurzem war alles anders.> Oder so was wie: Einmal sagte er zu mir: Lauter so Sachen eben.«
»Hat er Namen genannt?« Spechts Hand wanderte nach hinten, bereit, sofort sein Notizbuch aus der Hosentasche zu ziehen.
»Nein, natürlich nicht.« Edith sah ihn an, als ob er von einem anderen Stern kommen würde. Specht zog seine Hand unverrichteter Dinge zurück.
»Können Sie mit Sicherheit bezeugen, dass Herr Nußbaumer die ganze Nacht bei ihnen war?«
»Ich kann nur mit Gewissheit sagen, dass ich morgens in Alfreds Zimmer aufgewacht bin. Ob er die ganze Nacht da war, weiß ich nicht. Wahrscheinlich ist es schon, da wir alle vier ziemlich dicht waren.« Sie kaute an ihrer Unterlippe, rieb die Hände nervös gegeneinander. »Ich mein, ich kann bezeugen, dass wir so um drei Uhr hingekommen sind und ich gegen halb vier oder vier eingeschlafen bin. Keine Ahnung, ob er auch geschlafen hat. Verstehen sie mich nicht falsch, ich meine, er wird wohl, aber sicher ist das ja nicht. Auf jeden Fall ist mir nichts aufgefallen, bis ich so gegen neun aufgewacht bin.«
»Gegen neun?« Specht war verwirrt, da sie bisher von acht Uhr dreißig ausgegangen waren. Das sagte er natürlich auch der Frau. Woraufhin sie meinte: »Der Wecker hat ja auch halb neun angezeigt, als ich aufwachte. Alfred stand neben dem Bett und sagte, er sei gerade am Klo gewesen. Daraufhin habe ich mich schnell angezogen, habe Assi geweckt und bin mit ihr in Ruperts Auto direkt zur Arbeit. Die Firma liegt keine zehn Minuten von Ruperts Wohnung weg und wir haben sicher auch nicht länger als 20 Minuten gebraucht, uns fertig zu machen, aber als wir ankamen, war es bereits nach halb zehn. In den Tagen danach, bin ich zur Auffassung gekommen, dass Alfreds Uhr nachgehen muss.«
»Warum haben Sie sich nicht bei uns gemeldet und uns darüber informiert?«
Specht rechnete im Kopf nach. Der Mord geschah gegen halb acht. Bis halb neun hätte es Nußbaumer kaum geschafft, in sein Zimmer zurückzukommen. Aber bis neun war es möglich, ohne Aufsehen zu erregen. Bisher hatten sie immer angenommen, er hätte geschlafen. Doch vielleicht hatte er gewartet bis Frau Pötsch schlief und war dann nach Graz gefahren.
»Worüber hätte ich Sie denn informieren sollen? Darüber, dass sein Wecker nicht funktioniert? Außerdem weiß ich nicht, was diese halbe Stunde für einen Unterschied machen soll.«
»Einen Großen, das kann ich Ihnen sagen, einen Großen.«
***
Hofer befand sich nicht auf dem Weg zum Gerichtsmediziner, wie er Monika vorgegaukelt hatte, sondern war beim Staatsanwalt. Besser gesagt, vor dessen Amtszimmer.
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