Totgelesen (German Edition)
schilderte ihm das Geschehen.
»Es muss alles mit dem Tod seiner Frau begonnen haben. Ich habe mit seiner Schwester geredet. Sie sagte, er sei damals in ein tiefes Loch gefallen. Ist kaum noch aus dem Haus gegangen, hat nur noch von Alkohol gelebt. Zwar hat sie ihn jeden zweiten Tag besucht, für ihn gekocht und geputzt, aber geredet hat er kaum mit ihr. Fast zwei Jahre lang hat er seine Trauer in Alkohol ertränkt - doch plötzlich änderte er sich radikal. Er trank keinen Tropfen mehr und suchte um Wiedereinstellung bei der Polizei an.«
»Ich wusste gar nicht, dass er ein Alkoholproblem hatte.« Specht stützte seine beiden Ellbogen auf den Schreibtisch und bettete sein Kinn in die verschlungenen Handflächen. Er sah an Monika vorbei, als er sinnierte.
»Zuerst sagt man sich, man sollte unbedingt mal beim Kollegen vorbeischauen. Nachsehen, wie es ihm so geht, aber man kommt irgendwie nicht dazu - zu viel Stress. Aber das ist alles nur eine Ausrede, eigentlich will man ja gar nicht. Was soll man jemandem raten, der gerade einen wertvollen Menschen verloren hat? Man hat Angst davor, dass derjenige gar nicht reden will oder, noch schlimmer, davor, dass er redet. Darüber redet, wie beschissen es ihm geht. Also hofft man, ein anderer würde sich bequemen und ihn besuchen. Irgendwann vergisst man. Nur noch selten kommt das schlechte Gewissen hoch - solange, bis derjenige von selbst wieder zurückkommt.«
»Willst du behaupten, es hätte etwas geändert, wenn du jeden Tag bei ihm auf der Matte gestanden hättest?« Monikas Versuch, Specht von dessen schlechtem Gewissen zu befreien, fruchtete und ein dankbares Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.
»Ich weiß nicht. Wahrscheinlich nicht, vielleicht hätte er einfach nur jemanden gebraucht, um zu reden. So hat er seinen Frust mittels Alkohol kompensiert.«
»Damals war doch gerade der Mord an der Autobahn passiert, Ihr hattet sicher alle Hände voll zu tun. Bei solchen Ermittlungen hat man nun mal keine Zeit, seinen Kollegen zu bemuttern.« Monika stupste ihren traurig dreinblickenden Kollegen in die Seite: »Das klingt jetzt vielleicht hart, aber jeder ist für sich selbst verantwortlich. Du hättest nichts ändern können, da bin ich mir sicher.«
Specht lehnte sich in seinen Sessel zurück.
»Rede weiter:
»Wie er sich dazu entschließen konnte, das Leben von zwei - wenn du Frau Solinger dazu zählst - drei Unschuldigen zu opfern, kann ich dir nicht beantworten. Sie müssen für ihn Mittel zum Zweck gewesen sein. Sein einziger Gedanke war, Beiel für den Tod seiner Frau büßen zu lassen.«
»Aber der konnte nichts dafür.«
»Er sah das anscheinend anders. Ich war im Gefängnis bei dem Mann, der seine Frau ermordet hat und habe mit ihm nochmals über die Hintergründe der Tat gesprochen.«
»Das haben wir damals auch getan; wenn ich mich richtig erinnere, wollte er nur ausprobieren, wie schwierig es sei, jemanden zu ermorden und sich danach als Zeuge zu melden.« Specht schnappte sich einen Kugelschreiber und drehte ihn zwischen seinen Fingern.
»Ja, genau das Gleiche hat er mir auch erzählt, aber er hat mir auch gestanden, dass die Art und Weise, wie er die Frau ermordet hat, mit einem von Beiels Büchern übereinstimmt. Des Weiteren hat er mir gesagt, Hofer hätte ihm vor einem halben Jahr auch einen Besuch abgestattet und sich über die Gründe informiert.«
»Das kann nicht sein«, Specht sah sie verblüfft an. »Wir haben doch die Bücher von Beiel durchgesehen. Warum ist keinem aufgefallen, dass es noch ein Buch gibt?«
»Weil es vom Markt genommen wurde; schon zwei Wochen nach dessen Einführung. Die österreichische Ethikkommission hat es sperren lassen, sobald sie davon erfuhr. Somit konnte man es nur noch unter der Hand kaufen, was den Preis ziemlich hoch trieb und den Grundstein für Beiels Reichtum legte. Hofer ist es nicht zu verübeln, wenn er daraufhin sauer auf Beiel wurde. Das musst du mal verkraften. Deine Frau wird umgebracht von einem Irren, der sich auf ein verbotenes Buch bezieht. Warum er daraufhin die ganze Schuld Beiel aufgebrummt hat, ist aber auch für mich nicht ganz klar. Nachdem es unmöglich war, Beiel für den Tod an seiner Frau zur Rechenschaft zu ziehen, beschloss er zu morden, damit er Beiel für diese Verbrechen ins Gefängnis schicken konnte.«
Specht schüttelte den Kopf.
»Das kann ich nicht glauben.«
Monika gab Specht einen freundschaftlichen Klaps auf
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