Totgesagt
persönlich betroffen war.
“Aber Allie hat doch bei der Polizei gearbeitet!”, wandte Grace ein. “An den besonders schwierigen, den lange ungelösten Fällen! Wenn sie schon nichts hat finden können – hast du da nicht Angst, dass so ein Detektiv reine Zeit- und Geldverschwendung ist?”
Madeline hatte keine Lust, über Allie zu reden, jedenfalls nicht mit Grace. Nachdem Allie seinerzeit ein Auge auf Clay geworfen hatte, war ihr kriminalistischer Eifer spürbar erlahmt. Hatte sie Angst vor dem, was sie bei genauerer Untersuchung möglicherweise finden würde? Gut möglich. Zumindest passte es in das Bild, das sich andere Leute von dem rätselhaften Verschwinden ihres Vaters anscheinend machten. Jetzt allerdings, bei ihrem engen Verhältnis zu Clay, scherte sie diese Sorge offenbar nicht mehr. Beide schienen fest entschlossen, nach vorn zu schauen und die Vergangenheit ruhen zu lassen.
Sie hatten gut reden, wie Madeline fand, denn im Gegensatz zu ihr litten sie nicht unter dem quälenden Gefühl, eine Mitverantwortung für das Verschwinden von Lee Barker zu tragen. Allies Vater hatte vor seiner Versetzung aus Stillwater zwar auch reichlich Probleme gehabt, beispielsweise diese unselige Affäre mit Irene, aber immerhin war Chief McCormick nicht völlig aus dem Leben seiner Tochter verschwunden. Woher sollte Allie also wissen, wie sich das anfühlte, wenn man darüber grübelte, wo der eigene Vater abgeblieben war? Und nicht wusste, ob er überhaupt noch am Leben war? Und Clay, der kannte seinen Vater sowieso kaum, hatte er doch nur drei Jahre mit ihm zusammengewohnt.
“Bevor sie zu tief bohren konnte, hat ihr Vater sie damals doch gefeuert, weil er befürchtete, sie würde für Clay Partei ergreifen”, betonte Madeline, bemüht, die Wogen zu glätten. Wenn sie jetzt anfing, anderen Passivität oder gar Untätigkeit zu unterstellen, führte das mit Sicherheit dazu, dass Grace sich automatisch ebenfalls angegriffen fühlte. Und Grace hatte stets selbst genug mit sich zu kämpfen gehabt. Eine einigermaßen normale Beziehung zu ihrer Familie, die unterhielt sie erst seit ihrer Rückkehr vor eineinhalb Jahren. Davor hielt sie sich lieber auf Distanz und war voll und ganz in ihrem Beruf als stellvertretende Staatsanwältin in Jackson aufgegangen.
Sie alle hatten ausnahmslos schwierige Zeiten hinter sich.
“Sie hätte bestimmt nicht lockergelassen”, widersprach Grace. “Nur hat sie eben keine Hinweise gefunden, wo Dad möglicherweise heute stecken könnte.”
“Oder wer ihm womöglich was angetan hat”, ergänzte Madeline.
“Oder wer ihm etwas angetan hat”, räumte Grace ein.
Madeline strich sich das Haar zurück, um die dunklen Ringe, die sich nach einer mehr oder minder schlaflosen Woche unter ihren Augen gebildet hatten, mit einer Grundierung zu kaschieren. “Ich konnte halt einfach nicht anders.”
“Es kommt wahrscheinlich sowieso nichts dabei raus.” Grace blieb bei ihren Bedenken.
“Mag sein, aber als ich sah, wie sie den Cadillac aus dem Baggersee zogen, da wurde mir ganz übel.” Sie hielt inne, die Hand schon über dem Rouge, das sie als Nächstes auftragen wollte. “Da kam es mir vor, als hätte ich meinen Vater im Stich gelassen, weil ich nicht wirklich alles unternommen habe. Mich selber auch. Sogar dich und Clay, Grace. Clay wäre ja letzten Sommer um ein Haar wegen Mordes angeklagt worden!”
“Ich glaube nicht, dass sie ihm noch mal was anhängen werden”, hielt Grace dagegen. “Letztes Jahr, das war eine politische Angelegenheit. Seitdem hält der Vincelli-Clan sich zurück.”
“Mein Onkel und meine Tante vielleicht, aber die beiden Cousins sicher nicht. Du hast sie ja am Baggerloch erlebt!”
“Joe und Roger? Das sind doch Aasgeier. Solange wir in Bewegung bleiben, tun die uns nichts.”
“Sie haben eine Menge mächtiger Freunde.”
“Aber keine hieb- und stichfesten Beweise. Die wird es auch niemals geben. Clay ist unschuldig.”
Fertig mit dem Auftragen des Rouge, pinselte Madeline sich einen Hauch braunen Lidschatten auf die Lider. “Mit dem Autowrack kommt die ganze Geschichte buchstäblich wieder hoch”, bemerkte sie. “Meinst du nicht auch, dass man der Sache jetzt erst recht auf den Grund gehen muss?”
Das Schweigen dehnte sich. Aus etlichen Sekunden wurde schließlich eine halbe Minute.
“Stimmt etwas nicht?”, fragte Madeline schließlich.
“Nein, alles okay”, erwiderte Grace. “Glaub mir, ich würde auch gern erfahren, was wirklich
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