Totgesagt
gestanden hatten, erstreckte sich nun eine große, offene Halle, in der Clay an Oldtimern herumwerkeln konnte. Das dunkle Kabuff jedoch, das seinerzeit Lee Barker als Arbeitszimmer diente, das stand nun leer. Clay hatte auch nicht die Absicht, den Raum jemals zu nutzen. Im Gegenteil, er setzte nicht mal einen Fuß hinein, beschwor er doch zu viele Erinnerungen an jenen Mann herauf, den er gehasst hatte wie keinen anderen Menschen sonst auf der Welt.
Mit versteinerter Miene stellte er sich vor, wie sein Stiefvater immer am Fenster ebendieses Büros gestanden und peinlich genau darauf geachtet hatte, dass die alltäglichen Routinearbeiten auch seinen Anweisungen entsprechend ausgeführt wurden. Nach Irenes Heirat mit dem Reverend war Clay zu einer Art Sklave degradiert worden. Was Barker indes Grace angetan hatte, das war viel schlimmer …
“Seit wann findet man dich um diese Tageszeit im Haus? Was ist passiert?”
Clay drehte sich um. Eben betrat seine Frau das Zimmer. Er hatte schon auf sie gewartet. Sie half dienstags in der Schule ihrer beider Tochter aus, war aber normalerweise bis zum Mittag zurück.
“Grace hat angerufen”, sagte er und hielt den Blick noch eine Weile auf sie gerichtet. Allies große braune Augen, die glatte Haut, das unbefangene Lächeln – all das wirkte beruhigend auf ihn.
Nur ihr wundervolles Lächeln war über die Ereignisse der letzten Tage wie verflogen. Die Art, in der sie die Handtasche auf die Arbeitsplatte legte und sich das Haar hinter das Ohr strich, verriet ihm, dass sie sich auf das Schlimmste gefasst machte. Seit der Nachricht, der Cadillac sei gefunden worden, rechnete sie jederzeit mit einer Hiobsbotschaft. “Gibt’s etwas Neues?”, wollte sie wissen. “Hat die Polizei Beweismaterial gefunden oder …”
“Nicht, dass ich wüsste.”
Sie zog die Stirn kraus. “Und warum hat Grace dann angerufen?”
Hätte er sie doch bloß nicht mit seinen Sorgen belastet! Er war daran gewöhnt, sein Päckchen allein zu tragen, mochte es auf gewisse Art sogar lieber so. Allie hatte ja mit dem Vorfall, der sein Leben so sehr prägte, eigentlich nichts zu tun. Doch bei der Heirat, da hatte er ihr versprochen, er würde ihr nichts verheimlichen. Nicht mal diese Angelegenheit. “Madeline hat einen Privatdetektiv engagiert.”
Sanft schob sie ihn auf einen der Küchenstühle und fing an, ihm die Schultern zu massieren. “Das würde ich nicht überbewerten”, meinte sie. “Der Fall ist allmählich so lange geschlossen, da beißt sich selbst der fähigste Ermittler die Zähne aus. Und tüchtige Privatermittler sind ohnehin dünn gesät.”
“Der soll aber einen ziemlich guten Ruf haben”, wandte Clay düster ein.
“Wer behauptet das?”
“Grace hat sich mal umgehört. Einer von ihren ehemaligen Kollegen bei der Staatsanwaltschaft stammt aus Kalifornien. Der hat hin und wieder mit ihm zusammengearbeitet.”
Schlagartig hörte das Kneten auf. “Heißt das, der Mann hat bereits Erfahrungen, was Schwerverbrechen angeht?”
“Nach allem, was Grace erfahren hat, ist er früher ein Cop gewesen. Irgendwann hat er gemerkt, dass sich mit seinen Fähigkeiten auch mehr Geld verdienen lässt, und sich selbständig gemacht. “
“Toll”, bemerkte sie sarkastisch. “Und was ist sein Fachgebiet? Sag bloß nicht, Männer, die aus einem Kuhdorf in Mississippi stammen und seit zwanzig Jahren verschollen sind.”
Clay schüttelte langsam den Kopf. “Ich glaube eher, er war bisher mehr hinter verschollenen Vermögenswerten her.”
“Und was treibt ihn dann zu uns?”
“Anscheinend nimmt er jeden Auftrag an, der ihm spannend erscheint.”
Das Massieren setzte wieder ein. “Damit werden wir auch noch fertig”, murmelte Allie.
Das war ihr Motto bei jeder Herausforderung – eine Haltung, die das Leben erleichterte. “Ein Glück, dass ich dich gefunden habe!”, sagte er und küsste sie auf den Handrücken. In Allies Gegenwart konnte ihm die Vergangenheit nicht so viel anhaben, auch wenn er wusste, dass diese Vergangenheit ihn nie endgültig seinen Frieden finden lassen würde. Deshalb hatte er sich mit ihrer Beziehung ja auch so schwergetan. Es gehörte sich einfach nicht, ein solch düsteres Geheimnis mit in die Ehe zu bringen. Man konnte eine Ehepartnerin weder nötigen, das Geheimnis zu wahren, noch durfte man sie durch die Furcht vor einer Enthüllung belasten.
“Wir waren eben füreinander bestimmt”, stellte sie fest.
Obwohl innerlich angespannt und verkrampft,
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