Totgesagt
recht zu, dass er unempfänglich für politische Einflussnahme war – etwa durch Bürgermeister Nibley, zufällig ein guter Freund der Familie Vincelli.
“Ein anständiger Kerl ist Chief McCormick auch gewesen”, bemerkte Irene verbittert.
Madeline verkniff sich eine Antwort. Ihre Stiefmutter war immer noch in Allies Vater verliebt. Das war offensichtlich. Dabei bekam sie den ehemaligen Chief gar nicht mehr zu sehen. In dem Bemühen, ihre Ehe zu retten, war das Ehepaar McCormick umgezogen. Allie zufolge konnte der Bruch einigermaßen gekittet werden; ob es letztendlich gut gehen würde, blieb abzuwarten.
Madeline ahnte, dass Irene das Gegenteil hoffte. Sie war so einsam, dass sie in letzter Zeit öfter mal im Büro vorbeischaute. Da sowohl Grace als auch Clay verheiratet waren und Molly in New York wohnte, war es nur natürlich, dass sie sich nun an Madeline hielt. Der heutige Besuch kam Madeline allerdings nicht sonderlich gelegen. Die Ängste ihrer Stiefmutter beflügelten nur ihre eigenen.
“Sollen wir ihn vielleicht einfach anrufen?”, fragte Madeline.
Irene nickte. Ehe Madeline aber zum Telefon greifen konnte, klingelte es bereits von selbst. Madeline beugte sich über den Schreibtisch und zog den Apparat näher heran. Das Display meldete “Anrufer unterdrückt”, doch sie hoffte gleichwohl, dass es Pontiff war. Sie meldete sich mit dem üblichen “
Stillwater Independent
…”
“Madeline?” Die Stimme klang sonderbar dumpf, so als würde der Anrufer sie absichtlich verstellen.
“Ja?”, sagte sie zögernd.
“Ich hab gehört, das Auto von deinem Vater wurde im Steinbruch gefunden.”
Madeline war jetzt ziemlich sicher, dass es sich um eine Frauenstimme handelte, obwohl die Anruferin versuchte, ihre Stimme tiefer klingen zu lassen. “Stimmt.”
“Der ihn da hineingesteuert hat, das war Clay. Ich habe ihn dabei beobachtet.”
Dann war die Leitung tot.
4. KAPITEL
M adeline redete sich ein, dass es sich wieder einmal um einen Trittbrettfahrer handelte. Von diesen Leuten hatte sie eine ganze Menge Anrufe erhalten, fast alle mit dem Versprechen auf neue Informationen, die sie dann doch nie erhielt. Aber diesmal kam ihr die Sache nicht geheuer vor. Die Anruferin hatte so nervös gewirkt, so verlegen, so … so echt eben!
Irene beobachte sie mit sorgenvollem Blick. “Was ist passiert?”
“Verwählt.” Sie rang sich ein lahm wirkendes Lächeln ab; zu etwas anderem konnte sie sich nicht aufraffen. Die Worte der Anruferin hingen bedrohlich über ihr wie die grauen Wolken draußen vor dem Fenster. Wer konnte hinter dem Anruf stecken? Wenn diese Unbekannte tatsächlich eine Augenzeugin war – wieso trat sie dann einen Schritt vor und meldete sich zu Wort? Warum diese diffusen Andeutungen? Madeline besaß eine ganze Liste von Leuten, die angeblich dieses oder jenes gesehen haben wollten. Aber keiner konnte mit Sicherheit sagen, wohin ihr Vater an jenem letzten Tag nach dem Verlassen der Kirche verschwunden war.
Eine Bewegung am Fenster riss sie aus ihren Grübeleien. “Da kommt Pontiff”, meldete Irene. In diesem Moment trat Toby auch schon durch die Haustür. In seinem Dienstregenmantel vermittelte er einen ausgesprochen amtlichen Eindruck.
Schlagartig war die Anruferin vergessen. “Hallo, Chief?”, fragte Madeline gespannt. “Haben Sie etwas gefunden?”
Tropfnass auf der Fußmatte stehend, musterte er Irene flüchtig und nickte Madeleine zu. “Kann ich dich mal unter vier Augen sprechen?”, fragte er sie mit ernster Miene.
Madeline war sich unschlüssig. Einerseits hätte sie gern zugesagt, weil sie dann das Gesagte erst einmal sacken lassen konnte, ohne gleich darüber nachdenken zu müssen, wie ihre Stiefmutter darauf reagierte. Andererseits konnte sie sich schwerlich mit ihm in die winzige Bürotoilette verdrücken. Und sonst bestand die Redaktion lediglich aus einem großen Raum, der von ihrem Arbeitsplatz und einem überdimensionierten Drucker eingenommen wurde. Irene am Schreibtisch sitzen zu lassen und mit McCormick in einer Ecke zu tuscheln – das allerdings war völlig ausgeschlossen. Das hätte Irene zu Recht als Kränkung aufgefasst. Und Madeline gab sich stets große Mühe, anderen beizubringen, ihrer Mutter mit Achtung zu begegnen. “Das geht schon so. Ich habe keine Geheimnisse vor meiner Mutter.”
Er wollte widersprechen, überlegte es sich aber anscheinend im letzten Moment anders. “Ich möchte euch keine übertriebenen Hoffnungen machen, aber wir haben
Weitere Kostenlose Bücher