Totgeschwiegen (Bellosguardo)
gesagt, dass sie sich da nicht einmischen soll.“
„Jetzt verstehe ich auch, warum sie mich immer so merkwürdig angesehen hat, als es um meine vorzeitige Rückreise nach Hamburg ging.“
„Ja, sie fühlt sich irgendwie mies und hätte gerne mit dir darüber gesprochen. Sie sorgt sich um dich. Auf der anderen Seite hat sie ein schlechtes Gewissen, weil sie es Alexander verheimlicht hat.“
„Jetzt hat sie einen völlig falschen Eindruck von Domenik. Er ist normalerweise ganz anders. Nur eben diese Eifersucht ...“
„Weißt du, Anna, meine Mutter ist wirklich in Ordnung. Du kennst sie noch nicht gut, aber du kannst dich jederzeit an sie wenden, wenn was ist. Und an mich übrigens auch. Lass dich nicht von dem Kerl fertigmachen, hörst du?“
Anna musste schlucken. Am liebsten wäre sie in ihrem Sitz versunken. Constantin und Isabelle hatten die ganze Zeit gewusst, wie ekelhaft Domenik zu ihr an Heiligabend gewesen war und sie hatten kein Wort darüber verloren. Isabelle hatte ihrem Vater gegenüber dicht gehalten, das wusste sie. Ihr Vater hätte niemals seinen Mund halten können, wenn er gewusst hätte, dass seine Tochter als Hure bezeichnet wurde.
„Und wie sollen wir das jetzt bei der Ankunft in Hamburg machen?“, fragte sie mit einer für sie ungewöhnlichen Piepsstimme.
„Wir beide werden gemeinsam in den Ankunftsbereich gehen. Du wirst mir deinen Freund vorstellen und ich dir meine Oma. Ganz einfach.“
„Domenik wird ausflippen.“
„Anna, ich bin so etwas wie dein Stiefbruder. Wenn er das nicht kapiert, dann lass die Finger von dem Kerl. Auch wenn er noch so eine schwere Kindheit hatte. Wie alt ist der Typ eigentlich?“
„Domenik ist fast 19.“
„Na also. Dann soll er sich auch so benehmen.“
Was s ollte sie darauf noch antworten? Constantin hatte ja recht. Aber er kannte Domenik nicht. Wenn er von ihren gesamten WhatsApp Unterhaltungen mit Domenik wüsste, dann könnte er sie besser verstehen. Aber wenn sie ihm die noch schnell am Gepäckband lesen lassen würde, dann würde wahrscheinlich sogar Constantin ihren Vater anrufen. Und außerdem - wäre das nicht der ultimative Vertrauensbruch an Domenik?
Anna begann auf ihrem Daumennagel zu kauen. Die Ankunft in Hamburg rückte unaufhaltsam mit jeder Sekunde näher.
Mit zitternden Händen öffnete Anna die Beifahrertür des silberfarbenen Mercedes. Was würde sie gleich erwarten? Würde Domenik sie beschimpfen oder sich in eisiges Schweigen hüllen?
Im Ankunftsbereich hatte er keine Miene verzogen. Er war kurz zusamme ngezuckt, als er sie mit Constantin durch den Ausgang hatte kommen sehen. In seinem Blick hatte sie ganz kurz Entsetzen erkennen können, aber sofort hatte er seine Gesichtszüge auf cool geschaltet. Und dann war er freundlich gewesen, hatte Constantin die Hand geschüttelt, der Oma guten Tag gesagt und dabei sogar gelächelt. Er hatte den gutaussehenden, charmanten Freund gemimt. Aber wie sah es in seinem Innern aus? Anna war der kalte Schweiß runtergelaufen und Constantins Oma hatte sich bestimmt gewundert, warum sie so zittrig gewesen war.
Die Oma hatte ausgesehen wie eine ältere Version von Isabelle. Schulterlange braune Haare, eine sportliche Figur, die gleichen Augen wie Isabelle , nur ein paar mehr Falten. Sie sah so gar nicht wie eine Oma aus, in ihren angesagten Jeans und Sneakern.
Schweigend saßen sie nun nebeneinander, während Domenik den Mercedes seiner Mutter durch das Parkhaus lenkte.
„Wie geht es deiner Mutter?“, fragte Anna so unverfänglich wie möglich.
„Bis jetzt hat sie einen guten Tag. Sie will heute Abend mit uns essen gehen.“
„Das ist aber nett.“ Anna sah aus dem Fenster. Würden sie in ihrer Konversation jetzt bald beim Wetter angekommen sein? Oder sollte sie es einfach wagen und ihm erzählen, dass sie sich nicht getraut hatte , ihm zu sagen, dass Constantin mit ihr zusammen im gleichen Flugzeug nach Hamburg fliegen würde?
Sie konnte sich nicht entscheiden. Stattdessen zog sie ihr Handy aus der Tasche und schrieb , wie versprochen die Bin-gut-angekommen-Nachricht an ihren Vater.
„Schreibst du ihm?“
Anna schloss kurz die Augen. Jetzt ging es los. Domenik konnte sich einfach nicht beherrschen. Sie würde das jetzt mit ihm ein für alle Male klären und wenn er wieder so gemein und schroff reagieren würde, dann würde sie bei der nächsten Ampel aus dem Auto steigen.
„Nein, Domenik. Ich habe meinem Vater geschrieben. Ich soll dich übrigens schön
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