Totgeschwiegen
Farm.
Was, wenn jemand eines Tages Lee Barkers Auto fand? Dann würde zweifellos eine neue Untersuchung beginnen. Und das wäre dann das Ende. Sie würden keinen Stein auf dem anderen lassen. Chief McCormick würde die Untersuchung leiten, und er war bei Weitem nicht so unfähig wie sein Vorgänger Jenkins.
Sie musste unbedingt etwas unternehmen. Sie musste verhindern, dass es zum Schlimmsten kam.
Sie ließ den Motor an und lenkte den Wagen auf die Schnellstraße. Ob Clay das nun gut fand oder nicht, es war an der Zeit, Reverend Barker umzubetten. Sie mussten seine sterblichen Überreste loswerden. Das war der einzige Weg, um sie alle zu beschützen.
Joe sah die Scheinwerfer von Grace’ Wagen näher kommen. Sie bog in die Einfahrt ihres Hauses ein, und Joe trat eilig zur Seite, damit sie ihn nicht am Fenster bemerkte. Sie würde schon noch früh genug mitbekommen, dass er auf sie wartete. Hier drinnen in ihrer Wohnung, in ihrem Reich, wo niemand hören konnte, wenn sie sich wehrte.
Er lächelte und freute sich schon darauf, sie in die Enge zu treiben. Er konnte es kaum noch erwarten, mit ihr all das zu machen, was er sich die ganze Zeit über ausgemalt hatte.
Aber sie kam nicht herein. Die Garagentür ging auf, und sie fuhr den Wagen nur halb hinein.
Er ging zum anderen Fenster, von wo aus er einen besseren Blick hatte. Doch auch von hier aus konnte er nichts erkennen. Offenbar war sie ausgestiegen, hatte aber den Motor laufen lassen. Ihre Rücklichter waren noch eingeschaltet.
Was zum Teufel tat sie denn bloß da draußen?
Er trat wieder an das andere Fenster, konnte sie aber erst sehen, als sie wieder aus der Garage trat. Sie hielt einen langen Gegenstand in der Hand. Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, und ließ vor Staunen das Glas fallen, das er in der Hand gehalten hatte. Es fiel zu Boden und zersprang in tausend Stücke. Kein Zweifel: Grace lud eine Schaufel in ihren Wagen!
Obwohl er ziemlich viel Alkohol getrunken hatte, begann Joes Herz heftig zu schlagen. Was hatte sie vor? Nach dem, was er selbst gerade ausgegraben hatte, konnte er sich nur noch eine andere Sache vorstellen. Wonach sonst sollte sie mitten in der Nacht buddeln wollen?
Er beobachtete, wie sie den Kofferraum wieder schloss und in die Garage eilte. Die Bremslichter leuchteten auf, und dann rollte der BMW rückwärts die Einfahrt hinunter.
Sie fuhr los.
Joe blieb so lange am Fenster stehen, bis er sicher war, dass sie auch wirklich nach links zur Montgomery-Farm abbog. Dann rannte er nach draußen, sprang in seinen Wagen und fuhr in dieselbe Richtung. Mit ein bisschen Glück würde er sie bald einholen. Und tatsächlich: Schon nach vier Minuten, an der Stelle, an der die Hauptstraße zur Schnellstraße wurde, sah er sie vor sich.
Er verlangsamte die Fahrt, um sie nicht auf sich aufmerksam zu machen. Wenn er richtig lag, würde er schon sehr bald der ganzen Stadt erklären können, wo die Leiche seines Onkels zu finden war.
Grace parkte im Dickicht zwischen den Bäumen, die Clays Farm auf der Rückseite entlang des Kanals begrenzten. Sie nahm Schaufel, Handschuhe und Taschenlampe aus dem Kofferraum. Ihr war klar, dass Clay sie sofort stoppen würde, wenn er merkte, was sie vorhatte. Aber sie hatte das Gefühl, es sei höchste Zeit, etwas zu unternehmen. Die Situation wurde immer bedrohlicher. Zu viel stand auf dem Spiel. Sie musste unbedingt verhindern, dass ihre Vergangenheit ihre Zukunft gefährdete. Jetzt ging es ja nicht mehr nur um sie, sondern auch um Kennedy und seine Söhne.
Clay, ihre Mutter und auch Molly – sie alle sollten ruhig vergessen und ihr Leben weiterleben. Das, was Grace jetzt tat, geschah zum Wohl der ganzen Familie.
Eine Kröte quakte in der Nähe, als sie die Baumwollfelder durchquerte. Der Teich lag nicht weit entfernt. Sie konnte das Wasser plätschern hören, als sie näher kam. Sie versuchte, sich darauf zu konzentrieren, um sich nicht vom Quietschen des Windrads auf dem Dach der Scheune irritieren zu lassen. Dieses Geräusch machte sie nervös. Es erinnerte sie daran, wie sie früher im Bett gelegen und bei geöffnetem Fenster gelauscht hatte, wie der Sommerwind das Rad drehte. Und so sehr sie auch dagegen ankämpfte: mit dieser Erinnerung ging die Angst einher, ihr Stiefvater könnte plötzlich wieder aus seinem Büro treten, um zu ihr zu kommen. Jeden Abend hatte sie schweißgebadet die Decke zum Kinn hochgezogen, in die Dunkelheit jenseits des Fensters gestarrt, die ganze
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