Totgeschwiegen
ausgehen. Was hast du heute Abend vor?”
“Nichts.” Endlich mal saß Grace nicht vor einem mit Aktenordnern vollgepackten Schreibtisch. Es konnte natürlich sein, dass gelegentlich jemand aus dem Büro anrief, aber sie hatte vor ihrer Abreise alle ihre Fälle abgeschlossen.
“Ich könnte nach der Arbeit bei dir vorbeikommen.”
“Wann machst du denn Schluss?”
“So gegen fünf – es sei denn, es kommt auf den letzten Drücker noch eine wichtige Nachricht rein. Aber das betrifft dann meistens Kühe, die eigenmächtig ihre Weide verlassen haben.” Sie lachte. “Das schaffe ich auch ohne Überstunden.”
“Soll ich uns was zu essen machen?”
“Du hast doch gestern schon gekocht. Vielleicht bringe ich einfach ein paar Pizzas mit?”
Grace musste an den Jungen denken, der ihr die nette Botschaft hinterlassen hatte. Er würde bestimmt heute wiederkommen, um seine Kekse abzuholen. Sie wollte ihm etwas mitgeben, falls sich herausstellte, dass seine Familie genauso arm war wie ihre eigene früher. “Nein, lass mal. Ich werde Lasagne machen.”
“Hmm … Ich liebe Lasagne!”
“Und was meinst du: Soll ich mal bei Mom vorbeifahren und nachschauen, ob vor ihrem Haus ein fremder Wagen parkt?”, fragte Grace.
“So unvorsichtig würde sie bestimmt nicht sein.”
“Bist du sicher?”
“Ja. Ich habe das nämlich schon selbst mehrmals versucht, aber es stand nie ein Wagen da.”
Grace ging vom Fenster weg. “Du bist doch die Reporterin! Du müsstest das doch herausfinden können.”
“Wahrscheinlich könnte ich das, aber … Ehrlich gesagt, ich schwanke hin und her. Einerseits will ich ihre Privatsphäre respektieren, andererseits meine Neugier befriedigen. Und darüber hinaus weiß ich nicht genau, ob ich es überhaupt wissen will.”
“Manchmal ist es besser, die Wahrheit nicht zu kennen”, stimmte Grace zu und wünschte dabei, Madeline würde das auch im Fall ihres verschwundenen Vaters so sehen.
“Da hast du recht. Wir können ja heute Abend weiter darüber sprechen.”
“Also dann bis später.”
“Grace?”
“Was denn?”
“Hast du nicht Lust, mit mir heute am späten Abend zur Autowerkstatt zu fahren und dort ein bisschen herumzuspionieren?”
Grace hielt inne. “Am
späten
Abend? Etwa erst, nachdem Jed geschlossen hat?”
“Genau das.”
“Du willst doch nicht etwa einbrechen?”
“Ich will bloß wissen, was in diesem Aktenschrank versteckt ist.”
“
Mitten in der Nacht?”
“Wann sollen wir denn sonst an das Ding rankommen? Wenn er unschuldig ist, ist es ja nicht weiter schlimm, wenn wir einen Blick hineinwerfen.”
“Außer, dass es sich um Einbruch handelt! Wenn man uns dabei erwischt, landen wir im Gefängnis. Und ich würde meinen Job verlieren. Dann hättest du wirklich eine tolle Geschichte für deine Zeitung.”
“Wir werden schon nicht erwischt”, sagte Madeline. “Du weißt doch, dass die Polizisten ihre Abende im Coffeeshop verbringen. Außerdem habe ich ein Gerät im Wagen, mit dem ich den Polizeifunk abhören kann. Wir können ja warten, bis sie mit etwas anderem beschäftigt sind, bevor wir reingehen.”
“Maddy …”
“Denk einfach darüber nach, okay? Ich will es jedenfalls nicht alleine tun.”
Grace stellte den Ventilator aus, weil sein Geräusch sie nervös machte. “Und was ist mit Kirk?”
“Gestern Abend hätte er bestimmt mitgemacht, aber da war ich noch nicht so weit. Und jetzt ist es zu spät. Er hatte eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, seine Mutter hatte einen Schlaganfall. Sie war ja keine besonders gute Mutter, aber er fliegt trotzdem hin. Sie liegt in einem Krankenhaus in Minnesota.”
Grace hielt sich an der Klinke der Badezimmertür fest, als sie strauchelte. “Also bleiben nur wir beide?”
“Es ist bestimmt überhaupt nicht schwer! Ich will unbedingt wissen, was in diesem Aktenschrank ist, bevor er es wegschafft.”
Grace kaute nervös auf ihrer Unterlippe. “Aber er hat doch mitbekommen, dass Matt herumgeschnüffelt hat. Wahrscheinlich ist es sowieso schon längst nicht mehr da.”
“Aber das ist doch erst zwei Tage her, und das Ding ist immer noch abgeschlossen!”
“Ich verstehe nicht, was uns das bringen sollte, Maddy.”
“Soll das ein Witz sein?”, fragte Madeline ungläubig. “Wir könnten die Wahrheit herausfinden! Willst du denn nicht wissen, was mit Dad passiert ist? Willst du nicht endlich Gewissheit haben?”
Wie schön wäre es,
wirklich
nichts darüber zu wissen! “Ja, sicher, aber
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