Totgeschwiegen
…”
“Vielleicht finden wir auf diese Weise ja endlich eine Spur.”
“Vielleicht aber auch nicht.”
“Wenn wir dort nichts finden, sind wir trotzdem einen Schritt weiter.”
“Wie denn das?”
“Du weißt doch, was Lorna Martin gesagt hat. Am Abend, als Dad verschwunden ist, hat sie Jed noch spät in seiner Werkstatt gesehen, so spät wie sonst nie. Was sagt uns das?”
“Dass Lorna eine neugierige Nachbarin ist?”, sagte Grace, um sich einen Augenblick Luft zu verschaffen.
“Unsinn. Es sagt uns, dass er an diesem Abend etwas Außergewöhnliches gemacht hat.”
Grace stellte sich vor, wie sie in Jeds Büro herumstöberte, und verzog das Gesicht. Das war einfach nicht in Ordnung. Sie wollte seine Privatsphäre nicht verletzen. Außerdem war er schon alt. Wer weiß, was er tun würde, wenn er sie dabei ertappte. “Madeline …”
“Bitte, Grace, du musst mitmachen. Mir zuliebe. Ich muss wissen, was in diesem Aktenschrank ist. Und wenn dabei nur herauskommt, dass es mit uns überhaupt nichts zu tun hat.”
Grace spürte, dass ihre Stiefschwester den Tränen nahe war. Sie überlegte fieberhaft, was sie sagen sollte. “Wenn wir nichts finden, lässt du Jed dann endlich in Ruhe?”, fragte sie.
Es gab eine längere Pause, dann antwortete Madeline: “Ja. Wenn ich kann.”
Das war nicht gerade ein eindeutiges Versprechen. Grace wollte immer noch ablehnen. Aber sie musste auch zeigen, dass sie ihre Schwester unterstützte, sonst würde sie womöglich Verdacht schöpfen. “Na gut, das ist jetzt aber noch keine endgültige Zusage. Ich denke darüber nach”, sagte sie und unterbrach die Verbindung.
Sie legte den Apparat auf das Regal im Badezimmer und strich sich nervös durch die langen dunklen Haare. Warum hatte dieser dämliche Matt Howton bloß nicht den Mund gehalten?
Einbruch war ein ernstes Vergehen. Aber Grace fürchtete weniger, bei einem Verbrechen ertappt zu werden, als dass Madeline die Wahrheit herausfinden könnte.
5. KAPITEL
N ach ihrem Gespräch mit Madeline hatte Grace ein ungutes Gefühl. Als ihre Mutter eingetroffen war, bereitete sie weiter das Frühstück vor, aber sie fühlte sich, als würde der Boden unter ihren Füßen nachgeben und sie in ein so tiefes Loch ziehen, dass sie nie wieder herauskam.
Ihr war von Anfang an klar, dass eine Rückkehr nach Stillwater ihr ganzes Leben durcheinanderbringen würde, und nun machte ihr diese Aussicht Angst. Dennoch konnte sie nicht einfach wieder wegfahren. Dazu war es noch zu früh. Dreizehn Jahre lang hatte sie so getan, als sei sie ein anderer Mensch, jemand ohne quälende Vergangenheit. Aber so konnte sie nicht mehr weitermachen, und das wusste sie genau. Sie wollte endlich in der Lage sein, sich selbst zu vergeben, sich weiterzuentwickeln.
Leider war ihr nicht klar, wie sie das schaffen sollte und ob es überhaupt möglich war. Dennoch war sie sich ziemlich sicher, dass ein Einbruch in Jeds Autowerkstatt nicht die richtige Methode war, ihre Probleme zu lösen.
“Warum bist du denn so still heute Morgen?”, fragte ihre Mutter, als sie sich Sirup über die Pfannkuchen träufelte, die Grace gebacken hatte.
Grace stellte eine Karaffe mit Orangensaft auf den Tisch. Ihr fiel auf, wie erstaunlich einsilbig ihre Mutter war. Sie war recht spät gekommen und wirkte nervös.
“Ich denke nach”, sagte Grace.
“Worüber denn?”
Grace ging zum Küchentresen zurück und legte sich ein paar Scheiben Schinkenspeck auf den Teller, bevor sie am Tisch gegenüber von Irene Platz nahm. “Über Madeline.”
“Wieso denn? Mit ihrer Zeitung hat sie es doch gut getroffen.”
Offensichtlich hatte sie heute Morgen keine Lust, sich über allzu schwere Themen zu unterhalten. Das war typisch für sie. Wenn wirklich große Probleme auftauchten, versuchte sie immer, sie zu ignorieren.
Grace wünschte, sie könnte weiterhin so tun, als wäre die Fassade, die ihre Mutter unbedingt aufrechterhalten wollte, echt. Aber das konnte sie nicht. Deshalb arbeitete sie unermüdlich daran, die Hilflosen zu beschützen und die Schuldigen zu bestrafen. Deshalb war sie nach Stillwater zurückgekommen. “Sie glaubt, sie weiß, wer ihren Vater umgebracht hat”, sagte sie.
Irene verzog das Gesicht. “Mike Metzger ist wirklich ein übler Bursche, nicht wahr?”
Das stimmte schon, Mike war ein schrecklicher Kerl, aber er hatte Lee Barker nicht auf dem Gewissen, und das wusste Irene sehr gut.
“Sie hat ein paar tolle Artikel über dich geschrieben”, sagte
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