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Totgeschwiegen

Totgeschwiegen

Titel: Totgeschwiegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Novak
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rang die Hände. “Aber es ist doch schon so lange her …” Sie starrte auf ihren Teller. Vor ihrem inneren Auge schienen sich Szenen abzuspielen, die sie lieber nicht beschwören wollte. Sie schüttelte heftig den Kopf. “Nein, wir dürfen nichts tun. Wenn wir etwas verändern an diesem … diesem Ort, machen wir bestimmt einen Fehler, übersehen ein Detail, hinterlassen Spuren – und dann wird Lee am Ende doch noch gewinnen. Und er wird uns alle in den Abgrund reißen, mich, dich und sogar Madeline.”
    Irene wurde immer unruhiger.
    Plötzlich wurde Grace bewusst, wie zerbrechlich ihre Mutter geworden war, und ließ ihren Arm los. Sie atmete tief durch und schob das Essen auf ihrem Teller hin und her, bis es schließlich kalt geworden war. Irene war nicht mehr so souverän wie früher. Sie würde sich nicht mehr auf sie verlassen können – nicht, wenn Entscheidungen verlangt wurden, die sie in der Vergangenheit mit Clays Hilfe getroffen hatte. Möglicherweise hatte Clay sich ja schon darauf eingestellt. Vielleicht war das der Grund, weshalb er sie so sorgsam behütete.
    “Es tut mir leid”, sagte Grace. “Mach dir keine Sorgen, okay? Ich war im Unrecht. Es bleibt alles, wie es ist.”
    Irene schaute sich nervös in der Küche um. “Glaubst du wirklich?”
    “Ich weiß es.” Grace strich ihr über den Arm. “Ich hab mich nur von Joe nervös machen lassen und überreagiert, das ist alles.”
    “Bist du sicher?”
    Grace tat so, als wäre sie ganz ruhig, aber das Gegenteil war der Fall. “Ganz bestimmt.”
    Ihre Mutter nickte. “Gut. Ich bin froh, dass du das sagst. Ich … Es hat sich doch alles ganz gut entwickelt. Es wäre doch nicht gerecht, wenn wir jetzt …”
    “Ich weiß.” Grace griff nach dem Teller ihrer Mutter. “Bist du fertig?”
    “Ja.”
    “Dann räume ich jetzt ab.”
    Sie stand auf und trug das Geschirr zum Waschbecken. Gleichzeitig grübelte sie, wie sie sich verhalten sollte, jetzt, wo ihre Mutter nicht mehr mit der Vergangenheit zurechtkam. “Wie gefällt dir eigentlich deine Arbeit in der Boutique?”, fragte sie, um irgendwie das Thema zu wechseln.
    “Ich bekomme dort zwanzig Prozent Preisnachlass”, sagte Irene, die offenbar froh war, über etwas anderes sprechen zu können.
    “Du hast einen guten Geschmack. Du siehst immer richtig toll aus”, sagte Grace und lächelte ihr zu. “Ich begleite dich noch zu deinem Wagen. Ich möchte nicht, dass du zu spät kommst”, fügte sie hinzu. Und in diesem Augenblick wurde ihr klar, wie ungeheuer wichtig es war, dass sie nach Stillwater zurückgekommen war. Sie brauchte ihre Familie, aber viel entscheidender war, dass ihre Familie sie jetzt brauchte.
    Teddy Archer stand vor der Tür von Evonnes Haus und überlegte, ob er anklopfen sollte oder nicht. Sein Vater hatte ihn schon vor einer Weile bei seiner Großmutter abgesetzt, aber er wusste, dass es noch viel zu früh war, um jemanden zu besuchen. Er hatte sich gezwungen, so lange wie möglich zu warten, und hoffte, dass es nun allmählich genug war. Aber als er die Veranda erreichte, bemerkte er einige Plakate, die für die Bürgermeister-Kandidatin Vicki Nibley warben. Seine neue Freundin gehörte offenbar zum “Lager des Feindes”, wie seine Oma zu sagen pflegte.
    Seine Großmutter verabscheute alle, die Mrs. Nibley unterstützten, und behauptete, sie und ihre politischen Freunde würden die Stadt ruinieren. Teddy fand allerdings, dass Grace nicht unbedingt unsympathisch war. Sie hatte ihm einen Dollar gegeben, weil er für sie Unkraut gezupft hatte, und außerdem musste er ja auch noch seine Kekse einkassieren.
    Er entschied, trotz allem anzuklopfen, und rückte seine Baseballmütze zurecht, während er darauf wartete, dass die Tür geöffnet wurde.
    Kaum stand sie vor ihm, fühlte er sich gleich besser. Sie schien ehrlich erfreut, ihn zu sehen, und sagte lächelnd: “Hallo.”
    Er steckte die Hände in die Hosentaschen und drehte sich um. Im Vorgarten waren tiefe Reifenspuren zu sehen. “Da ist ja jemand über den Rasen gefahren”, stellte er fest.
    Sie folgte seinem Blick und sagte: “Ja, ich weiß.”
    “Wer war das denn?”
    Sie zuckte mit den Schultern. “Ein Mann namens Joe.”
    “Joe Vincelli?”
    “Genau der. Kennst du ihn?”
    “Ja. Er ist witzig.”
    “Vielleicht finden einige Leute ihn ja witzig, ich aber nicht.”
    Es war auch nicht so, dass alle Leute Joe gut leiden konnten. Teddy hatte mal gehört, wie seine Großmutter gesagt hatte, Joes Eltern

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